Der Blick auf die andere Seite

Kunstprojekt
Im Jahr 2022 jährt sich der Todestag von E.T.A Hoffmann zum 200. Mal, Grund genug, des in Königsberg gebürtigen Literaten, Zeichners, Komponisten und Juristen zu gedenken.
Für ein Kunstprojekt von Mai bis Juli 2022 mit Schülerinnen und Schülern der Klasse 6b vom Ferdinand-Porsche-Gymnasium Stuttgart-Zuffenhausen diente seine Zauberoper „Undine“ als Aufhänger: Wassergeister, Nixen und Mischwesen. Fast zeitgleich zeigten die Stuttgarter Oper mit Antonín Dvořáks lyrischem Märchen „Rusalka“ und die Junge Oper im Nord (JOiN) mit der hybriden Monsteroper „Melusine – was machst du am Samstag?“ Stücke, die die Themen Wunderwesen, Metamorphose und Mischwelten ebenfalls aufgreifen und für die Jugendlichen viele Anknüpfungspunkte boten.

Nach einer thematischen Hinführung und mit der Unterstützung der Künstlerin Lisa Harms, die neben Materialien viele kreative Ideen mitbrachte, waren die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, sich selbst Fantasiewelten und Mischwesen zu überlegen, geisterhaft schöne Parallelwelten zu entwickeln, in denen Grenzen überschritten werden und Verwandlungen aller Art möglich sind. Sie arbeiteten überwiegend in Gruppen. Mithilfe von Beispielbildern, Zeitschriften und dem Internet konnten sie Inspirationen sammeln, nach den passenden Umgebungen für ihre Wesen suchen, Elemente ausschneiden, Skizzen anfertigen, sich gegenseitig fotografieren und schließlich in Form einer Collage ihr Mischwesen zum Leben erwecken.
Um die Mischwesen genauer zu charakterisieren, regte Lisa Harms die Sechstklässlerinnen und Sechstklässler mit Impulsen, Leitfragen und der Anfertigung eines Steckbriefs zur inneren Auseinandersetzung an. Dabei kamen z.B. Kombinationen heraus wie ein Vogel-Maschinen-Wesen, das Eis schmelzen, aber ebenso negative Gedanken in positive umwandeln kann. Oder ein Wesen, das sich in gewissen Situationen in einer geschützten Blase aufhält, um sich und andere zu retten. Auch Transformationsprozesse von Tieren und Pflanzen, Naturgewalten und Müllwesen, die aktuelle Umweltprobleme verdeutlichen, wurden genannt.
Für ihre Zwischenwesen schufen die Schülerinnen und Schüler Lebensräume, indem sie intuitiv Farben aus Acryl auf Aquarellpapierbögen auftrugen, diese vermischten und neue Techniken ausprobierten. Dann wurden die Collagen mithilfe von Acrylfarben, Pigmenten und Lack mit den bemalten Papierbögen zusammengeführt. Das Kleben, Basteln, Malen, Sprayen und Experimentieren machte allen großen Spaß.
Der künstlerische Verwandlungsprozess hörte hier aber nicht auf. Die Künstlerin Lisa Harms nahm die Bild-Collagen der Schülerinnen und Schüler mit nach Hause in ihr Atelier und verarbeitete sie weiter zu einem großen Gesamtkunstwerk. Sie zerlegte die Bilder in einzelne Fragmente, führte diese zu einer abstrakten Wald- und Wasserwelt zusammen und klebte die Elemente auf großformatigen Leinenstoff. Die einzelnen Mischwesen wurden weiter verfremdet und mit wässrigem Acryl und Pigmenten übermalt. Das Einsetzen von Spiegelfolie im mittleren Teil des Bildes stellt eine Art „Bindeglied“ zwischen den Welten dar. Abschließend wurde der 2,5 m x 2 m große Leinenstoff auf einen passenden Holzrahmen gespannt.

Den Entstehungsverlauf und die Dokumentation der künstlerischen Arbeit präsentierte Diane Dingeldein vom HdH BW den Schülerinnen und Schülern mit Fotos und einem Video der Künstlerin. Sie zeigten sich überrascht, wie ihre Bilder verwandelt worden waren, eine weitere Transformation stattgefunden hatte und freuten sich, „ihre“ Elemente im Gesamtkunstwerk wiederzuentdecken. So hatte sich das Ergebnis niemand vorgestellt. Bei der Suche nach einem Titel machte es der Kunstlehrer, Michael Dürr, der Künstlerin Lisa Harms gleich: Aus den Vorschlägen, die von den Schülerinnen und Schülern kamen, nahm er Schnipsel und fügte sie neu zusammen: „Der Blick auf die andere Seite“ soll das Gesamtwerk heißen.
Es hängt nun im Foyer des JOiN und kann dort bestaunt werden. Als nächste Station wandert es in das Schaufenster des HdH BW.
Für die Schülerinnen und Schüler, die die Oper bereits hinter den Kulissen kennenlernen durften, bildet der Besuch der Aufführung von „Rusalka“ im September den Abschluss. Während des Projekts haben sie erfahren, dass es in der Kunst oft um Verwandlung und Einblicke in unterschiedliche Welten geht, dass Verbindungen unter ihnen hergestellt werden können und dass jahrhundertealte Stoffe – wie der von Undine – in unsere Zeit übertragen durchaus relevant sein können.
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