HOMING
Auf der Suche nach Zuhause.
Descoperind acasă.
Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Zuhause sprechen? Meinen wir das gleiche wie Heimat? Was verbindet jeder Einzelne ganz konkret mit solchen Begriffen? Ein rumänisch-deutsches Künstler*innenkollektiv machte sich 2019 in ganz Europa auf die Suche nach Antworten. Für das Projekt „Homing – auf der Suche nach Zuhause | descoperind acasă“ wurden zahllose Gespräche geführt, Texte geschrieben, Fotografien angefertigt, Szenen entwickelt, Bild- und Tonaufnahmen erstellt und schlussendlich alles zu einer Ausstellung zusammengefügt. Diese ist vom 21. Januar bis zum 13. März im Literaturhaus Stuttgart zu sehen.
Auch die Perspektive junger Menschen aus Stuttgart wird Teil der Ausstellung sein. Eine 10. Klasse des Königin-Charlotte-Gymnasiums stellte sich im Rahmen ihres Geschichtsunterrichts bei Inge Plieninger dieser Herausforderung. Unter Anleitung der Schauspielerin Ema Staicut, der Fotografen Philipp Meuser und Enver Hirsch sowie von Diane Dingeldein und Michael Herzog (HdH BW) beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler mit den Themen Heimat, Zuhause und Migration.
Das Künstler*innenkollektiv besteht aus: Ema Staicut, Lavinia Braniște, Andrea Wolfer, Julia Lauter, Holger Fröhlich, Gabriel Amza, Philipp Meuser, Enver Hirsch, Jan Anderson und Juha Hansen. Das Projekt ist eine Kooperation von Casa Artelor Timișoara, MISC Timișoara sowie dem Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg und wird durch die Baden-Württemberg-Stiftung gefördert.
HOMING - Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart
Baustein 1: Heimat interaktiv – Programmblock am 9. Dezember 2019
Zum Auftakt des Projektes verschafften sich die 24 Schülerinnen und Schüler des Stuttgarter Königin-Charlotte-Gymnasiums zunächst einen thematischen Überblick.
Wo liegt Osteuropa? Wo fängt es an, wo hört es auf? Warum verlassen Menschen ihr Land? Und was ist das überhaupt, Heimat? Das waren nur einige der behandelten Fragen. Auf Grundlage eines ersten Brainstormings sollten die Teilnehmenden Osteuropa räumlich eingrenzen – keine leichte Aufgabe. Die Lebensgeschichten ganz unterschiedlicher Personen, eines Donauschwaben, einer Sudetendeutschen, eines Russlanddeutschen und einer Syrerin galt es im zweiten Teil zu verstehen und einzuordnen. Schnell wurde deutlich, wie individuell die Schülerinnen und Schüler die jeweilige Situation der Menschen einschätzten – und wie verschieden die Gründe für Migration sein können. Schließlich lief alles auf eine entscheidende Frage hinaus: Was bedeutet eigentlich Heimat für mich? Für die Jugendlichen konnte Heimat Vieles sein: Familie, ein Ort, ein Gericht, eine digitale Anwendung oder auch einfach ein Gefühl.
Vom Baustein nahmen die Teilnehmenden Arbeitsaufträge mit, die die Grundlage für die weitere Arbeit im Januar bildeten.
Baustein 2: Theater-Workshop am 20. Januar 2020
Acht Schülerinnen und Schüler entschieden sich am 20. Januar für einen Theater-Workshop mit der Schauspielerin Ema Staicut. Als Einstieg setzten sie sich mit dem Begriff „ankommen“ auseinander und sammelten ihre persönlichen Definitionen: Ruhe, Glück, Zuhause, ein erreichtes Ziel. Im nächsten Schritt galt es, den Blick auf eine Person zu richten. Diese nahm auf einem Stuhl auf einer imaginären Bühne Platz und musste sich eine Minute lang den Blicken des „Publikums“ – der Mitschüler stellen. Nicht ganz einfach, immer wieder wurde auf beiden Seiten versucht, Lacher zu unterdrücken. Jeder „Zuschauer“ war dann gefordert, drei Wörter zu notieren, die beschreiben, was er an der Person auf dem Stuhl beobachtet hat. Die Wörter wurden dann von der Person laut vorgelesen. Stimmt das, wie die anderen mich gesehen haben? Habe ich das auch so empfunden? Wie hat der Körper reagiert? Darüber diskutierten die Teilnehmenden.
Immer wieder findet man sich im Leben in ähnlichen Situationen: Man wird angestarrt und die Leute bilden sich eine Meinung. Wie kann man damit umgehen? Darauf versuchten die Schülerinnen und Schüler Antworten zu finden, bevor sie in Zweiergruppen eingeteilt und gebeten wurden, eine Szene zu schreiben. Was ist deine größte Angst? Wo ist deine Heimat? Wovor rennst du weg? Wohin willst du? Am Ende stand fest: Wir sind alle unterschiedlich, unsere Ängste und Wünsche sind aber oft gleich. Im Zuge von Migration mischen sich die Ideen von Zuhause. Wir haben die Möglichkeit zu beobachten und werden gleichzeitig beobachtet – ein bleibender Eindruck für die Schülerinnen und Schüler.
Baustein 3: Fotografie-Workshop am 20. Januar 2020
Insgesamt 16 Schülerinnen und Schüler besuchten am 20. Januar den Fotografie-Workshop. Vorab waren sie gefordert, das eigene Heimatverständnis zu visualisieren. Das Hilfsmittel hierfür war die Kamera, die in Zeiten von Smartphones ein steter und allgegenwärtiger Begleiter ist. So entstanden individuelle Bilderfolgen, die vieldeutige und einzigartige Perspektiven eröffneten.
Die beiden Referenten Philipp Meuser und Enver Hirsch nutzten den Workshop, um den Teilnehmenden die Methode der Bildkritik einerseits und den bewussten Einsatz von Bildtechniken andererseits praxisnah zu vermitteln. Die Bildergalerien der Schülerinnen und Schüler zeigten Häuser von innen und außen, Möbel, Weihnachtsbäume, Mülltonnen, Autos, Gebäude, Straßenbahnen oder Haustiere. Ein Bild zeigte eine völlig fremde Stadt und verwies darauf, dass manchmal der Wert der eigenen Situation und Verwurzelung erst in der Ferne beim Reisen so richtig deutlich wird.
Mit diesem neuen Fachwissen ausgestattet, sind die Schüler nun aufgefordert, eine zweite Bildfolge zu erstellen – diese wird ab Anfang Februar Teil der Ausstellung innerhalb des Gesamtprojekts im Literaturhaus Stuttgart sein.
Ausstellungseröffnung am 21. Januar 2020
Zur Begrüßung fasste Erwin Krottenthaler vom Literaturhaus Stuttgart die Entstehungsgeschichte des Projekts „Homing“ zusammen. Was vielleicht schon in den Köpfen einiger der beteiligten Künstler*innen und Autor*innen vor vielen Jahren auf einem Workshop im Literaturhaus begann, wurde 2019 zur konkreten Idee und wuchs seither immer weiter. Für ihn wesentlich: Es gehe den Ausstellungsmachern darum, Fragen aufzuwerfen – Fragen, die ganz individuell beantwortet werden und von gesellschaftlicher Relevanz sind. Fotos und Texte, eine Sammlung von Briefen, ein Film und Klanginstallationen sind die Ergebnisse der Recherche „Auf der Suche nach Heimat“.
Ausstellungsbesuch am 10. Februar 2020
Beim Besuch der Ausstellung „„Homing – auf der Suche nach Zuhause | descoperind acasă““ im Literaturhaus Stuttgart entdeckten die Schülerinnen und Schüler des Königin-Charlotte-Gymnasiums gleich ihre eigenen Arbeiten, die ab sofort die Perspektive auf Zuhause erweitern. Ema Staicut und Julia Lauter schilderten anschaulich, wie die Idee zu dem Projekt „Homing“ entstand und wie sich die Sammlung des Materials, also der ganz persönlichen Geschichten, gestaltete. Die erste Präsentation der Werke fand in Temeswar/Timișoara in einem Gewölbekeller statt – die Wirkung war dort eine ganz andere.
Die Suche nach Zuhause ging für die Zehntklässler in der Ausstellung vor Ort weiter: Mit den Arbeitsaufträgen „Was hat die zerquetsche Bierdose mit Zuhause zu tun?“, „Was sagen Eltern über Zuhause?“ und „Findet das beste Land zum Ankommen“ ausgestattet, machten sich je drei Gruppen auf, die einzelnen Installationen zu betrachten und für sich zu interpretieren. Endgültige Antworten fanden sie nicht, vielmehr wurden neue Fragen aufgeworfen. Auch die Vorführung von Juha Hansens Film, der Orte des Ankommens auf der ganzen Welt zeigt und diese mit Zitaten in unterschiedlichen Sprachen anreichert, trug dazu bei. Gemischte Gefühle, zwischen der Neugierde wegzugehen, Neues zu entdecken und der Sehnsucht nach einem Platz zum Bleiben, kommen in dem Film zum Ausdruck. Für die Stuttgarter Schülerinnen und Schüler endete das Projekt, doch die essentielle Frage nach der Bedeutung von Zuhause wird sie gewiss weiter beschäftigen.