Studienfahrten für Lehrerinnen und Lehrer
Jedes Jahr in den Pfingstferien bietet das HdH BW eine Studienfahrt in das östliche Europa an. Das Angebot richtet sich an aktive Lehrerinnen und Lehrer der Fächer Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Gemeinschaftskunde, Kunst, Religionslehre und Ethik an öffentlichen und privaten weiterführenden, allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Baden-Württemberg.
Das Reiseziel der Studienfahrt in den Pfingstferien 2025 wird Ende diesen Jahres bekannt gegeben.
Berichte aus den zurückliegenden Studienfahrten:
2024 führte die Lehrerstudienfahrt des HdH BW nach Bulgarien und Rumänien: ein Reisebericht von Dr. Brita Hempel und Elke Fix, Merian-Schule Freiburg.
2023 führte die Lehrerstudienfahrt des HdH BW nach Serbien und Rumänien. Angela Ballier vom Christoph Schrempf Gymnasium Besigheim erinnert sich in ihrem persönlichen Reisebericht an zehn Tage, in denen sie „besondere Orte und besondere Personen“ kennengelernt hat.
Ein Reisebericht von Katja Parowatkin, Eduard-Mörike-Schule Gemeinschaftsschule, Bad Mergentheim
Zum ersten Mal nahm ich an der Studienreise des Hauses der Heimat des Landes Baden-Württemberg teil. Dieses Mal führte sie die 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den Spuren der Russlanddeutschen nach Detmold. Direkt neben dem Teutoburger Wald liegt die größte Stadt im Kreis Lippe. Sie ist bekannt für das nahegelegene Hermannsdenkmal, aber auch die russlanddeutsche Geschichte, wie wir erfahren durften.
Der erste Tag fing mit der Busanreise von Stuttgart nach Mannheim an. Hier erwartete uns das Leibniz-Institut für deutsche Sprache. Frau Dr. Annette Trabold stellte die Einrichtung vor, Frau Dr. Katharina Dück gab Einblicke in ihre Forschungen zur sprachlichen Identität der dritten Generation der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion und Ira Peter, Stadtschreiberin in Odessa 2021 und Journalistin, hielt einen Vortrag über die Integration von Russlanddeutschen. Im Anschluss fuhren wir weiter nach Detmold – unserem eigentlichen Ziel. Der Tag endete mit einem geselligen Abendessen.
Am zweiten Tag empfing uns Edwin Warkentin, Kulturreferent am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte, und führte uns durch selbiges Museum. Kornelius Ens, der Museumsleiter, referierte über die mögliche Eingliederung der Geschichte der Russlanddeutschen in den Kontext des Schulunterrichts. Im Anschluss gab es noch Gelegenheit für Gespräche und zur selbstständigen Besichtigung der Ausstellung. Nach einer Mittagspause trafen wir uns zu einer Führung durch Detmold. Unterhaltsam und fundiert brachte uns die Führerin Cornelia Müller-Hisje die historischen Besonderheiten der Stadt näher und gab zudem einen lebhaften Einblick in das heutige Leben der Detmolder. Nach einem öffentlichen Vortrag des Politikwissenschaftlers Dr. Felix Riefer zur aktuellen russischen Außenpolitik endete auch dieser Tag mit einem gemeinsamen Abendessen.
Der dritte Tag bildete eine weitere Vertiefung in die Geschichte der Russlanddeutschen durch die Besichtigung des Grenzdurchgangslagers Friedland, über das viele (Spät-)Aussiedler in den 1980er- und 1990er-Jahren nach Deutschland gekommen sind. Heute ist es weiterhin ein wichtiger Transitort für ankommende Flüchtlinge. Insgesamt ermöglichte der Besuch der Ausstellung eindringliche Erfahrungen zur Fluchtgeschichte Europas. Bei all den Vorurteilen dürfen wir niemals vergessen, dass Flucht und Wanderung zur globalen Geschichte genauso dazugehören wie Ankommen und Eingliedern. Nach dem Abendessen hörte der Tag mit einem gemütlichen Ausklang beim Schauen des Films „POKA heißt Tschüss auf Russisch“ auf, der die Herausforderungen und Hoffnungen einer russlanddeutschen Familie bei ihrer Auswanderung aus der Sowjetunion nach Deutschland zeigte. Auch dieses Mal stand Edwin Warkentin Rede und Antwort in der anschließenden Diskussion.
Ein runder Abschluss zur Thematik „Russlanddeutsche“ war am vierten Tag, als wir die von Russlanddeutschen gegründete August-Hermann-Francke-Schule besichtigten. Mit Peter Dück, dem Geschäftsführer des Christlichen Schulvereins Lippe e.V., bekamen wir einen Einblick in die Organisation und das Leitbild der Schule. Auch dieses Mal gab es nach der Mittagspause eine weitere Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte durch eine Führung durch das größte Freilichtmuseum Europas, das auch an die Geschichte der Russlanddeutschen anknüpfte, indem es unter anderem das Leben der Deutschen des 17. und 18. Jahrhunderts behandelte, als auch die Vorfahren der heutigen Russlanddeutschen gen Osten ausgewandert sind.
Am letzten Tag durften wir noch einmal dem lokal-kolorierten Charme der Führerin Cornelia Müller-Hisje folgen und zwar am Hermannsdenkmals und bei den Externsteinen. Schließlich ging es mit dem Bus zurück nach Stuttgart und so endete die eindrucksvolle Studienreise.
Zum Abschluss bin ich mir sicher, dass jeder seinen eigenen kleinen Aha-Moment während der Reise hatte, denn, obwohl Russlanddeutsche die größte Minderheit Deutschlands bilden, ist von ihrer Geschichte, ihrer kulturellen Prägung und ihrem Einfluss auf gesellschaftlich-politische Prozesse des staatlichen Zusammenlebens wenig bekannt.
Viele der Teilnehmer sind schon mehrmals mitgefahren. Für mich war es zwar die erste Reise, aber bestimmt nicht die letzte.
Ein Reisebericht von Remy Heimers, Gymnasium am Deutenberg, Villingen-Schwenningen
Meine abermalige Reise mit dem Haus der Heimat führte mich dieses Mal zusammen mit 23 weiteren Mitreisenden unter Leitung von Dr. Diane Dingeldein in ein für mich noch unbekanntes Land, nach Ungarn. Wir waren alle sehr gespannt auf dieses Land, das nach der Wende als großer Hoffnungsträger in Europa galt, in letzter Zeit aber unter der Regierung Viktor Orbáns von der rechtskonservativen Fidesz-Partei eher negative Schlagzeilen gemacht hat.
Von Stuttgart aus flogen wir am Dienstag, den 11. Juni morgens nach Wien. Von dort aus brachte uns ein Bus weiter über die nahe gelegene ungarische Grenze in die Stadt Sopron (sprich: Schopron; auf Deutsch Ödenburg). Nach dem Einchecken im Hotel ging es mit einer kurzen Busfahrt zu einem Ausflug in die deutsch-deutsche Geschichte. Wir besuchten die Gedenkstätte des Paneuropäischen Picknicks. Dort wurden die Bilder von vor dreißig Jahren wieder lebendig, als am 19. August 1989 ca. 600 DDR-Bürger bei einer Friedensdemonstration die symbolische Öffnung der österreich-ungarischen Grenze zur Flucht in den Westen nutzten.
Nach Ödenburg/Sopron zurückgekehrt, trafen wir Robert Wild, den Regionalbüroleiter der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. Robby, wie er genannt wird, gab uns eine erste Einführung in die Geschichte der Ungarndeutschen bzw. Donauschwaben. Diese geschichtliche Einführung wurde später von Referenten an anderen Orten, die wir noch besuchen sollten, ergänzt.
Bei den Donauschwaben handelt sich nicht nur um Schwaben im engeren Sinn, sondern um Deutsche aus vielen Teilen des südlichen Deutschlands, die vor allem nach der osmanischen Herrschaft in die „Schwäbische Türkei“ eingewandert sind. „Der Erste hat den Tod, der Zweite die Not, erst der Dritte das Brot.“, zitierte Robby treffend die schwierigen Ausgangsbedingungen dieser Siedler. Ende des 18. Jahrhunderts lebten dann im Königreich Ungarn mehr als eine Million Deutsche. Es gab ein blühendes kulturelles Leben mit deutscher Literatur, deutschem Theater und deutschen Zeitungen. Im 19. Jahrhundert begann eine Madjarisierungspolitik, der sich viele Deutsche anpassten. Sie begannen neben Deutsch auch Ungarisch zu sprechen. Nach dem Ersten Weltkrieg brach – zumindest aus ungarischer Sicht – die Katastrophe über Ungarn herein. Im Vertrag von Trianon im Jahr 1920 verlor Ungarn zwei Drittel seiner Gebiete an seine Nachbarländer. Die Verluste waren also erheblich größer als die Deutschlands im Versailler Vertrag. Deshalb ist der Vertrag von Trianon auch heute nach 100 Jahren immer noch im kollektiven Gedächtnis der Ungarn präsent. Viele Ungarn waren plötzlich Staatsbürger von Rumänien, der Tschechoslowakei oder Jugoslawiens. Mehr als die Hälfte der Ungarndeutschen waren jetzt gar keine Ungarndeutschen mehr. Im Gebiet von Ödenburg/Sopron gab es eine Volksabstimmung, in der sich die Mehrheit überraschend für Ungarn entschied. Wahrscheinlich wollten sie einfach keine Österreicher werden. In einer Volkszählung 1941 unter dem Nazi-freundlichen Horthy-Regime bekannten sich über eine halbe Million Menschen zur deutschen Nationalität und Sprache. Das sollte vielen von ihnen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zum Verhängnis werden. Sie wurden aufgrund dieses Bekenntnisses in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit deportiert oder aus Ungarn vertrieben. In einer berüchtigten Rede des Führers der Nationalen Bauernpartei hieß es: „Die Deutschen sind mit einem Bündel nach Ungarn gekommen und sie sollen auch mit einem Bündel gehen.“
Hatten noch 1941 fast eine halbe Million Menschen als Nationalität „deutsch“ angegeben, waren es bei der nächsten Volkszählung im Jahr 1949 nur noch gut 20.000 Menschen, was auch darauf zurückzuführen ist, dass viele sich aus Angst nicht mehr als Deutsche zu erkennen geben wollten. Das änderte sich erst vor und nach der Wende 1989/90 allmählich. Heute geben ca. 120.000 Menschen als Nationalität „deutsch“ an. Von denen haben allerdings manche trotz ihrer deutschen Abstammung keine deutschen Sprachkenntnisse mehr. Insgesamt aber ist die Situation der Ungarndeutschen heute nicht schlecht. Es gibt eine Landesselbstverwaltung, die vom ungarischen Staat unterstützt wird und sich um die Pflege der Sprache, der Kultur und des geistigen Erbes kümmert. Seit den Wahlen im Jahr 2018 hat die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen mit Emmerich Ritter sogar einen Vertreter im Parlament.
Am folgenden Tag besuchten wir nach einer Stadtbesichtigung von Ödenburg/Sopron das nach dem Dichter Dániel Berzsenyi benannte Evangelische Lyzeum, wo wir in Kleingruppen an deutschsprachigem Unterricht teilnahmen. Nach dem Mittagessen stand ein Besuch des nicht weit von Sopron entfernten Esterhazy-Schlosses auf dem Programm.
Am dritten Tag war unser erste Station der Plattensee/Balaton. Auf einer Halbinsel, die weit in den See hineinragt, liegt dort der malerische Ort Tihany. Nach dem Zwischenstopp ging es weiter nach Fünfkirchen/Pécs. Neben Budapest ist die Universitätsstadt sicher die faszinierendste und schönste Stadt Ungarns. Über 150 Jahre lang gehörte sie zum Osmanischen Reich, was sich auch heute noch in Zeugnissen der Architektur der Stadt widerspiegelt und ihr ein besonderes Flair gibt. Ein Highlight im Stadtbild ist die heute als Kirche benutzte, sehr gut erhaltene Moschee des Pascha Hassan Jakovali. Am Abend hatten wir ein informatives Gespräch mit Dr. Zsuzsanna Gerner, der Honorarkonsulin der Bundesrepublik Deutschland und Dozentin an der Universität, in dem wir viele weitere Einzelheiten über Geschichte und die heutige Lage der Ungarndeutschen erfuhren.
Am vierten Tag statteten wir dem nach der deutschsprachigen Dichterin Valeria Koch benannten Bildungszentrum einen Besuch ab. Dort lernten wir das Bildungssystem in Ungarn und der ungarndeutschen Schulen kennen. Der Kindergartenbesuch ist verpflichtend. Daran schließt sich die Grundschule (Klasse 1-8) und die Mittelschule (u.a. Gymnasium; Klasse 9-12) an. Das Valeria-Koch-Gymnasium gehört zu den zweisprachigen Schulen, in denen mindestens 50 % des Unterrichts in deutscher Sprache gehalten wird.
Nach der Stadtführung durch Fünfkirchen/Pécs mit der Besichtigung des Zsolnay-Kulturviertels mit weltberühmten Keramikprodukten, besuchten wir das deutsche Minderheitenradio und -fernsehen, das von Dr. Eva Gerner, der Schwester der Honorarkonsulin, geleitet wird. Die beliebteste Sendung ist das Wunschkonzert. Frau Gerner berichtete auch, dass deutsche Mundart wieder in Mode kommt und dass es auf diesem Gebiet sogar Wettbewerbe gibt. Natürlich interessierte uns auch, ob es seitens der ungarischen Regierung irgendeine Form der Zensur gibt. Die Antwort: Nicht direkt, aber man muss die in den Sendungen vorkommenden Themen vorher melden.
Am fünften Tag konnten wir uns ein Bild über weitere Aktivitäten der Ungarndeutschen machen. In Feked wandelten wir, kompetent und anregend geführt von Dr. Maria Erb, der Leiterin des Ungarndeutschen Forschungszentrums an der Budapester Universität, auf dem ungarndeutschen Lehrpfad, von denen es inzwischen noch weitere in anderen Orten gibt. Am Tag unseres Besuchs fand das Stifolderfest mit Musik, Umzügen und reichlich Speis und Trank statt. Höhepunkt des Festes ist die Prämierung der besten Paprikawurst, genannt Stifolder (von Stift Fulda, dem Herkunftsgebiet der deutschen Siedler). Jeder hat dort sein spezielles Hausrezept und hofft natürlich darauf, die Siegespalme zu erhalten.
Gestärkt von einem extra für uns zubereitetem Hirsch-Pörkölt erkundeten wir am späten Nachmittag die „Frankenstadt“ Baja an der Donau. Nach einer Schifffahrt gab es am Abend die für den Ort typische Fischsuppe, die Halászlé. Leider waren wir zu früh für das Volksfest im Juli, bei dem in mehr als 2.000 Kesseln über offenem Feuer Fischsuppe für weit über 20.000 Personen gekocht wird.
Am sechsten Tag ging es zuerst über die kroatische und dann die serbische Grenze nach Sombor zum Verein St. Gerhard. Die für uns Deutschen heute ganz ungewohnten peniblen Grenzkontrollen erinnerten uns daran, dass die EU trotz aller Krisen doch eine Menge an Vorzügen bereithält. Sombor liegt in der ehemals zu Ungarn gehörigen Provinz Vojvodina, in der sich früher fast eine halbe Million Menschen als Deutsche bezeichnete. Heute leben in ganz Serbien nur noch etwa 4.000 Angehörige der deutschen Nationalität. Ein Schwerpunkt des Vereins ist die Jugendarbeit, die durch Seminarangebote, Deutschkurse, Jugendfreizeiten und Schüleraustausche getragen wird. Daneben bildet die Pflege der deutschen Sprache, die aus historischen Gründen von der deutschen Minderheit kaum mehr gesprochen wird, ein weiteres Fundament der Arbeit. Die Finanzierung des Vereins erfolgt weitgehend aus dem deutschsprachigen Ausland. Unser Eindruck: Unter schwierigen Bedingungen wird hier sehr gute Arbeit geleistet.
Dann ging es über die Grenze zurück nach Wieland/Villany, in eine der wichtigsten Weinbauregionen Ungarns. Dort schlossen wir den Tag mit dem Abendessen und einer Weinprobe ab.
Der siebte Tag brachte uns nach Budapest, in die Hauptstadt Ungarns. Viele von uns besuchten die Markthalle, die zwar von Touristen übervölkert, aber trotzdem sehr sehenswert ist, neben der Architektur vor allem wegen aller Arten von Würsten, die dort zum Anschauen und natürlich zum Verzehr in unglaublichen Mengen ausgestellt sind. Nach einer Stadtführung auf den Spuren deutschen Lebens in Pest durften wir uns am Abend im Ersten Strudelhaus von Pest in die Kunst des Strudelmachens einweisen lassen.
Der achte Tag führte uns in das Sprachwissenschaftliche Institut. Dort hörten wir einen Vortrag über die Situation der Gehörlosen in Ungarn und einen weiteren über die Roma. Die Situation der Roma in Ungarn ist erheblich schwieriger als die der Ungarndeutschen. Die Mehrheit der Roma-Kinder besucht zwar eine Schule, doch ist die Abbrecherquote sehr hoch und es gibt auch im Unterschied zur deutschen Minderheit keine zweisprachigen Schulen. Das Fazit des Vortragenden war, dass das ungarische Bildungssystem mit den Roma-Kindern kaum etwas anzufangen weiß.
Am Nachmittag besuchten wir das jüdische Viertel in Budapest und das Haus der Ungarndeutschen, in dem auch die Redaktion der „Neuen Zeitung“ untergebracht ist; Frau Monika Ambach und Herr Johann Schuth berichteten über ihre Arbeit und rundeten das Bild der Infrastruktur der Ungarndeutschen ab. Der letzte Programmpunkt war anschließend das Abendessen in einer typisch ungarischen Csárda mit Tanz und Unterhaltung.
Den neunten und letzten Tag, Mittwoch, den 19. Juni, nutzen die meisten der Studienfahrer zu einem Besuch des auf dem gegenüberliegenden Donauufer gelegenen Buda mit Matthiaskirche und Fischerbastei. Von dort konnte man die wunderbare Aussicht auf Pest genießen.
Damit endete unsere wieder einmal sehr interessante und spannende Reise in ein osteuropäisches Land. Für mich und für viele andere ist klar: Das war nicht unsere letzte Reise mit dem Haus der Heimat.
Ein Reisebericht von Susanne Müller, Graf-Eberhard-Gymnasium, Bad Urach
Beschäftigt man sich mit der Ukraine und ihrer wechselvollen Geschichte, so stellt sich in Anlehnung an David Precht recht schnell die Frage: Wer sind sie und wenn ja, wie viele? Dies bezieht sich insbesondere im Hinblick auf den Versuch, eine kulturelle Identität der Ukrainer zu erfassen. Denn über die Jahrhunderte hat das Gebiet der heutigen Ukraine (und hier insbesondere die Westukraine) viele Herrschaftswechsel erlebt – und alle haben ihre kulturellen Spuren hinterlassen. Das erste Ziel der achttägigen Studienreise, die vom Haus der Heimat angeboten wurde, zeigt das exemplarisch.
Heißt es nun Lemberg, Lviv, Lwiw oder Lwów? Und wie spricht man das aus? Das war nur eine der vielen Fragen, die wir, die Mitglieder der 25-köpfigen Reisegruppe, uns stellten, als wir uns am 22.Mai 2018 am Flughafen Stuttgart trafen, um unter der bewährten Leitung von Dr. Diane Dingeldein eine spannende Reise zu beginnen: Acht Tage lang sollte die Reise durch die Westukraine führen und dabei Einblicke in Land und Leute ermöglichen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf den kulturellen und historischen Verbindungen zu Deutschland und der deutschen Sprache liegen.
Schon das erste Informationsgespräch mit dem Dozenten der Germanistischen Fakultät der Iwan-Franko-Universität Dr. Taras Pyts am Abend unserer Ankunft machte deutlich, dass sich unsere Suche nach der ukrainischen Identität wohl schwierig gestalten würde, zu groß erscheinen die Kontraste zwischen West- und Ostukraine zu sein, zu nachdrücklich die Folgen der verschiedener Fremdherrschaften.
Eine geführte Stadtbesichtigung am nächsten Morgen machte dann deutlich, wieso Lviv auch Klein-Wien genannt wird: Die Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, präsentiert sich als beeindruckendes Ensemble von Bauten von der Renaissance bis zum Jugendstil. Die kleinen Gässchen und vielen Kirchen unterschiedlicher Denomination wirkten fast wie ein Freilichtmuseum aus einer längst vergangenen Zeit, wären da nicht die vielen jungen Menschen, die die Stadt und vielen Cafés mit pulsierendem Leben erfüllen. Am Nachmittag hatten wir dann Gelegenheit, im Gespräch mit Dozenten und Studenten der Germanistischen Fakultät der Iwan-Franko Universität einen ersten Einblick in das ukrainische Bildungswesen zu erhalten und ein wenig die Motivation der gestandenen und werdenden Akademiker zu ergründen, sich mit der deutschen Sprache zu beschäftigen.
Die Architektur spielte auch am nächsten Vormittag eine Rolle, denn da besuchten wir die etwa 30 km nördlich liegende Ortschaft Žovkva, die ursprünglich als ideale Renaissancestadt angelegt wurde. Nach Besichtigung des sich in Renovierung befindlichen Schlosses ging es noch weiter ins Hinterland zum Basilianer-Kloster in Krekhiv, wo wir auch „unsere“ erste Holzkirche bestaunen konnten. Am Nachmittag waren wir ein weiteres Mal zu Gast an der Universität in Lviv. Die Dozentin und Übersetzerin Chrystina Nazarkewytsch, stellte uns wichtige zeitgenössische Autoren vor und gab uns einen inspirierenden Einblick in ihre Arbeit.
Am nächsten Morgen hieß es schon Abschied nehmen vom pulsierenden Lviv (einigen wir uns doch auf die Aussprache L‘wiw). Es ging nach Süden – quer durch die östlichen Karpaten, einer von Mischwäldern und Landwirtschaft geprägten Hügellandschaft, die uns sehr an den Schwarzwald erinnerte, nach Mukatschewo. Unterwegs begaben wir uns auf die Spuren deutschsprachiger Siedler aus Westböhmen, die sich ab 1835 im Dorf Felizienthal angesiedelt hatten. In einem Wäldchen konnten wir sogar noch Reste von Grabsteinen finden. Bei einem weiteren Zwischenstopp, dem im Wald gelegenen ehemaligen Jagdschloss in Karpathy, versuchten wir uns die ewige Schönheit versprechende Quelle zu Nutzen zu machen, doch bleibt es wohl dem Einzelnen überlassen, den Erfolg der „Trinkkur“ zu beurteilen.
Auch Mukatschewo besticht im Stadtzentrum mit viel K.u.k.-Architektur und sorgfältig renoviertem alten Baubestand. Wie dicht wir an der ungarischen Grenze waren, wurde uns deutlich, als wir die nahegelegene Festung Palanok (dt. Plankenburg) besuchten und fast ausschließlich auf ungarische Schulklassen und Reisegruppen trafen, die auf den Spuren ungarischer Elemente der Geschichte dieser Anlage waren.
Ein weiteres Highlight dieser Reise war sicherlich die Begegnung mit den Nachfahren schwäbischer Siedler im Dorf Pausching, nur wenige Kilometer südlich von Mukatschewo. Bei einem leckeren gemeinsamen Mittagessen erfuhren wir viel über die Geschichte der Familien und des Ortes (der übrigens mit seinen gepflegten Vorgärten wirklich sehr ‚deutsch‘ wirkt) und waren gleichermaßen erstaunt und amüsiert darüber, die schwäbischen Spuren auch noch im Sprachgebrauch unserer Gastgeber wiederzufinden, und selbst in den regionalen ukrainischen Dialekt scheinen sich schwäbische Lehnwörter verirrt zu haben.
Was es heißt, sich im größten Binnenland Europas fortzubewegen, konnten wir am nächsten Tag während unserer langen Fahrt nach Czernovici (dt. Czernowitz) ein wenig am eigenen Leib verspüren. Auf dem Weg in die Bukowina und das erweiterte rumänische Grenzgebiet passierten wir die letzten Ausläufer der Karpaten und fuhren oder zuckelten (je nach Straßenverhältnissen) durch eine immer flacher werdende Landschaft, die mit ihren riesigen Feldern und pittoresken Dörfern einem Gemälde des 19. Jh. hätten entstammen können.
Ganz im Kontrast dazu steht die Hauptstadt der Bukowina. Die Fülle der bei Wikipedia vorgeschlagenen Varianten des Stadtnamens ist ein Spiegelbild der wechselhaften Geschichte der Stadt: Tscherniwzi (ukrainisch), Tschernowzy (russisch), Cernauti (rumänisch), Czerniowce (polnisch), Tschernowitz (jiddisch u. hebräisch). Jedoch ist es vor allem die österreichische K.u.k.-Zeit, die die meisten Spuren in der Architektur und Infrastruktur hinterlassen hat. Uns beeindruckte vor allem unser äußerst kompetenter und kulturpolitisch gut vernetzter Reiseführer, Dr. Sergiy Osachuk. Er ermöglichte uns in den folgenden Tagen nicht nur einen facettenreichen Überblick in die Entwicklung von Stadt und Region, sondern brachte uns auch den aktuellen Kulturbetrieb näher. So besuchten wir einerseits Gedenkstätten in Erinnerung an vergangene Größen (z.B. die Denkmäler der gebürtigen Czernowitzer Rose Ausländer und Paul Celan), besichtigten das jüdische Viertel und bestaunten die vielen alten und wundervoll restaurierten Gebäude im Stil des Klassizismus bis zum Jugendstil. Doch Czernowitz ist kein lebendiges Museum, sondern hat eine pulsierende kulturelle Szene, was uns eindrucksvoll im Paul-Celan-Literaturzentrum vor Augen geführt wurde.
Der Besuch des Gymnasiums Nr. 1 mit seinem erweiterten Deutschunterricht rundete den Aufenthalt perfekt ab. Obwohl die Sommerferien schon begonnen hatten, begrüßte uns eine große Gruppe Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen und stellten in verschiedenen Workshops ihre sehr guten Deutschkenntnisse unter Beweis.
Der letzte Tag vor unserer Abreise stand aber auch wieder im Zeichen des jüdischen Erbes der Bukowina: Der Besuch des riesigen jüdischen Friedhofs und des jüdischen Museums, vor allem aber auch das Gespräch mit dem örtlichen Rabbi in der Synagoge zeigte deutlich, dass auch dieser Teil des kulturellen Erbes seinen Anteil an der facettenreichen modernen Identität der Westukrainer hat.
Einen stimmungsvollen Abschluss der Reise bildeten das gemeinsame Abendessen in einem jüdischen Restaurant und das anschließende Klezmer-Konzert. Noch mit den schmissigen Melodien im Ohr traten wir am nächsten Tag die Rückreise an. Auf der beschaulichen Fahrt nach L‘wiw, wieder vorbei an kleinen, pittoresken Dörfern und vielen Feldern, kreisten die Gedanken wieder um die Frage, wie sich die (West-)Ukrainer, derer Nation erst seit 1991 wirklich selbstständig ist, angesichts so vielfältiger und je nach Region so unterschiedlicher kultureller Erfahrungen eine gemeinsame nationale Identität schaffen können. Bedauerlicherweise scheint dies nach unserem Eindruck fast zu gleichen Teilen durch die gemeinsame Erfahrung äußerer Bedrohung und die Betonung des gemeinsamen kulturellen Erbes stattzufinden.
Für uns als Besucher bleiben vielfältige Eindrücke einer beeindruckenden Geschichte, einer sehr reizvollen Landschaft und freundlichen, lebensbejahenden Menschen, die mit Gleichmut und Erfindungsreichtum ihren Alltag meistern und versuchen ihr Land voranzubringen. Wir kommen gerne wieder!
Ein Reisebericht von Lothar Schwandt, Realschule am Karlsberg, Crailsheim
„Theo, wir fahr’n nach Lodz“, so lautete eine der Schlagzeilen in Postwurf-BILD vom 22.6. 2017 zum 65. Geburtstag der Boulevardzeitung. Aber nicht nur Vicky Leandros und Theo Waigel reisten unlängst auf Einladung des Blatts dorthin, sondern auch wir als Teilnehmer der Lehrerstudienfahrt mit Dr. Diane Dingeldein vom Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg.
Und wir blieben gleich drei Tage in dieser immer noch futuristisch anmutenden Stadt, nach Stationen in Warschau, Lublin, Zamosc, Rzeszów und Krakau. Obwohl diese Studienfahrt räumlich gesehen auf Zentralpolen begrenzt war, hat sich ein Kreis eröffnet und geschlossen, der so gut wie alle Facetten der tausendjährigen polnischen Geschichte und Kultur umfasste. Aber auch Diskussionsstoff war genügend vorhanden, denn immer wieder kamen wir durch unsere Gesprächspartner und Stadtführer auf die aktuellen politischen Entwicklungen der gegenwärtigen, von der PiS dominierten Regierung zu sprechen.
Unser Schwerpunkt lag neben den eher touristischen Zielen auf den Begegnungen, die erst den Mehrwert einer solchen Studienfahrt ausmachen. Und davon gab es eine ganze Menge. Das fing schon in Warschau nach dem Bustransfer mit dem Besuch des Deutsch-Polnischen Jugendwerks an, dessen Arbeit uns von zwei Referenten vorgestellt wurde. Nach dem Vorbild des Deutsch-Französischen Jugendwerkes aufgebaut, vermittelt und unterstützt es Begegnungen zwischen Gruppen und Schulen in beiden Ländern, seit einigen Jahren vermehrt auch trinational mit weiteren Staaten Osteuropas wie der Ukraine, Tschechien oder in Russland. Trotz der geografischen Entfernung pflegen gerade Schulen aus Baden-Württemberg einen regen Austausch mit polnischen Schulen.
Die Stadtführung machte vor allem deutlich, dass der Wiederaufbauwille und das Nationalbewusstsein in Warschau ungeahnte Kräfte freisetzte, die nahezu vollständig zerstörte Altstadt wieder ansprechend zu gestalten und sich dennoch der Geschichte zu stellen, die für Polen oft genug mit Leid und Leiden verbunden war. Daran wurden wir besonders im Jüdischen Museum Warschau erinnert, aber auch bei der Stadtrundfahrt durch das Gebiet des ehemaligen Gettos, entlang der Weichsel und beim Bummeln durch die modernen Geschäftsstraßen.
Entspannt erlebten wir die Begegnung mit den Studenten der Germanistischen Fakultät über den Dächern Warschaus und das Essen in der Mensa der Bibliothek, bevor wir auf eigene Faust die Nowy Swiat erkundeten, um das Flair der Hauptstadt kennen zu lernen. Dass wir am frühen Abend im Muzeum Archidiecezji Warszawskiej noch ein Chopin-Klavierkonzert erleben durften, war eine schöne Abrundung.
Lublin überraschte uns durch seine hübsche Lage und den heiteren Charakter der Innenstadt, bei der gerade vor unserem Hotel Europa ein städtischer Park neu angelegt wurde. Dass hier die Schatten der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft bis heute nachwirken, sollte uns zwei Tage lang beschäftigen, nämlich durch den Besuch der KZ-Gedenkstätte Majdanek, dem Besuch im Teatr NN und bei der Besichtigung des Zamek (Schlosses) mit der eindrucksvollen Dreifaltigkeitskapelle. Nicht zu vergessen die Einkehr im jüdischen Restaurant Mandragora mit (angeblich) koscherem Wein und einer sehr schmackhaften Ente, die wir hier serviert bekamen. Und mittendrin das quirlige Leben in den vielen Lokalen entlang der Grodzka, das sich um uns herum abspielte.
Die Ausflüge nach Zamosc und Majdanek standen unter geschichtlichem Aspekt. Hier die geniale Idee eines Renaissancefürsten, sich mithilfe italienischer Baumeister eine Renaissancestadt zu erbauen, einschließlich uneinnehmbarer Festungsbauten, deren Charakter bis heute unverändert geblieben ist, dort die Entsetzlichkeit einer unbarmherzigen Todesmaschinerie, aus der es nach der „Zuführung“ kein Entkommen gab, nur Hunger, Arbeit bis zur Erschöpfung, Leiden und vieltausendfachen Mord. Wer hier vor dem Berg aus Asche gestanden ist und die Verbrennungsöfen gesehen hat, weiß, warum es heute nur noch wenige tausend polnische Juden gibt.
Bei der Weiterfahrt erreichten wir mit Rzeszów eine aufstrebende Industriestadt mit einer Architektur, die auf die k. und k. Zeit zurückgeht. Wir ließen es uns im Kaffeehaus gut gehen, bevor wir die zweite Tagesetappe nach Krakau antraten. Dort waren wir in der Galerie des Nürnberger Hauses eingeladen, einen Einblick in die Kulturarbeit und die Verbindung beider Partnerstädte zu erhalten. In Krakau hatte man am ehesten das Gefühl, eine unzerstört gebliebene Stadtlandschaft zu erleben, kein Wunder, dass die Stadt seit 1978 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Zur Schönheit Krakaus tragen die Lage an der Weichsel, die beeindruckende Größe des Königlichen Schlosses auf dem Wawel, aber auch der Rynek mit den Tuchhallen aus dem 19. Jahrhundert bei, überragt von der Marienkirche, die an diesem Sonntag Ziel tausender Gottesdienstbesucher war. Wer wollte, konnte in Nowa Huta am Nachmittag noch ein Exempel sozialistischen Städtebaus studieren, andere spazieren die Grodzka auf und ab. „Hawelka“ hieß das Restaurant des Abends, bevor sich einige Unentwegte nochmals nach Kazimierz aufmachten, um dort im ehemaligen jüdischen Wohnbezirk umherzustreifen, der im Zentrum erfüllt war mit jungen Leuten aus der ganzen Welt.
Die wohl unbekannteste Metropole Mitteleuropas, Lódz, sollte noch einmal zum überraschenden Höhepunkt werden. Diese Boomtown des späten 19. Jahrhunderts wirkt auch heute noch ein Stück unwirklich, so gigantisch stehen dort die ehemaligen Textilfabriken und Villen von Scheibler, Grohmann und Poznanski. Manche wurden inzwischen nach Jahrzehnten des Niedergangs wieder wachgeküsst, wir konnten uns selbst ein Bild davon machen, zwar nicht als Hotelgäste, aber immerhin als Restaurantbesucher. Geprägt war der Besuch in Lódz jedoch durch die Begegnung mit Vertretern der Universität und am drittletzten Tag unserer Reise durch Hospitationen an polnischen Schulen. Dies war auch für die Polen-Erfahrenen unter uns ein weiterer Höhepunkt, denn das polnische Schulwesen ist derzeit im Umbruch, und dies bedeutet besonders für die staatlichen Schulen eine völlige Neuorganisation der Schulstandorte. Da wir in Kleingruppen auf verschiedenen Schultypen verteilt wurden, ergab dies auch innerhalb unserer Reisegruppe interessante Nachgespräche.
Einstige fürstliche Hofhaltung aus der goldenen, immer wieder verklärten Zeit Polens vor den Teilungen im Palast Nieborów, bescheidenes ländliches Leben im Freilichtmuseum Maurzyce und das aufstrebende Thermalbad Uniejów, das Anschluss an die Moderne sucht, waren am vorletzten Tag die Stationen einer Rundfahrt in die Umgebung von Lódz. Zwar wurde aus der Abkühlung im Thermalbad nichts, aber wir erlebten, wie aus dem Nichts heraus uns im dortigen Schlossrestaurant wieder einmal ein Abendessen vom Feinsten serviert wurde, zu dem auch das polnische Bier vorzüglich schmeckte.
Fronleichnam zeigte denen, die sich am Abreisetag noch einmal in die Stadt begaben, wie ein Feiertag in Polen gefeiert wird, an dem jede katholische Kirche zum Prozessionsort wird. Da sogar entlang der 4,3 km langen Piotrkowska alle Geschäfte geschlossen waren und die Arbeit ruhte, war es entsprechend ruhig und wir konnten mit dem Bus ganz entspannt zum Frederic-Chopin-Flughafen nach Warschau gelangen. Eine sehr informative und ausgesprochen interessante Studienfahrt ging zu Ende.
Ein Lehrerausflug der besonderen Art:
Studienreise des Hauses der Heimat des Landes Baden-Württemberg nach Bessarabien, Moldau und in die rumänische Bukowina
von Dienstag, 17. Mai bis Mittwoch, 25. Mai 2016, unter der Leitung von Dr. Diane Dingeldein
So weit in den Osten Europas führte eine Lehrerstudienfahrt des Hauses der Heimat noch nie; Diane Dingeldein machte aus der erstmaligen Fahrt nach Moldawien, dem einstmaligen „Bessarabien“, und in die Bukowina ein Feuerwerk der spannenden Begegnungen, tiefer politischer Einsichten und touristischer Höhepunkte.
Treffenderweise flog uns die „Austrian Airlines“ am Dienstag, dem 17. Mai 2016, über das Herz der alten KuK-Monarchie bis über seine Peripherie hinaus nach Chisinau (dt. Kischinau), der Hauptstadt der Republik Moldawien.
Kaum angekommen, empfing uns die deutsche Botschafterin, Frau Ulrike Knotz, zum Gespräch in ihrer kleinen, aber stark gesicherten Botschaft. Sie ist Anlaufpunkt quasi für alle, angefangen von den Schulen und der Deutschabteilung der Universität bis hin zu den höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreisen. Und sie nahm kein Blatt vor den Mund: Das Land ist geplagt von Korruption von oben bis unten. Wenige Oligarchen geben den Ton an. Die Veruntreuung von Staatsvermögen erschüttert das Land. Dabei gab sie sich stark, humorvoll und guter Dinge – ein beeindruckendes Treffen.
Am Mittwoch erhielten wir eine Stadtführung von Frau Natalja Domcovichi. Sie zeigte uns die nach der Eroberung Bessarabiens im 19. Jahrhundert von den Russen in Planquadraten angelegte Innenstadt, und auch hier erfuhren wir so manches über die gegenwärtigen Probleme des Landes. Wir sahen die große Statue des spätmittelalterlichen moldauischen Fürsten „Stefan cel Mare“ (Stefan der Große), diverse Regierungsgebäude mit Zelten einer Protestbewegung davor, den liebevoll wiederhergestellten Stadtpark und das nach einer dubiosen Privatisierung nie wieder geöffnete Archäologische Museum der Stadt. Der Bus brachte uns schließlich zu den beiden großen jüdischen Friedhöfen, die vom aktiven jüdischen Leben bis ins 20. Jahrhundert zeugen (laut einer Zählung aus dem Jahr 1897 waren damals die Juden mit 46% die größte Bevölkerungsgruppe der Stadt), bis es durch Pogrome, Verschleppung und Auswanderung fast vollständig zum Erliegen kam. Aber nur fast: Ein Mitglied der kleinen Gemeinde, Frau Irina Shihova, führte uns engagiert und kompetent durch die beiden Areale: Der „alte“ Friedhof ist aufgelassen, der „neue“ Friedhof ein verträumtes Gelände, dessen von Pflanzen überwucherte Gräber tausend Geschichten erzählen könnten.
Am Nachmittag wurden wir am Deutschen Seminar der Pädagogischen Staatsuniversität Chisinau von Professor Viktor Chiseliov freundlich empfangen. Es wurde eine lebhafte und interessante Veranstaltung, in der viele Beteiligte zu Wort kamen: Professoren, Studenten, der Deutsche Akademische Austauschdienst, moldawische Lehrerinnen und der deutsche Bundesprogrammlehrer. Bei einem Einstiegsgehalt von ca. 120 EUR werden in Moldawien nur Idealisten Lehrer. (Kleine Geschenke der Eltern sind da gerne gesehen.)
Donnerstag war der surrealistische Höhepunkt der Reise: eine Tour nach Transnistrien. Ein schmales, dünnes Ländchen jenseits des Flusses Dnister (rum. Nistru), von niemandem anerkannt (außer von zwei Gleichgesinnten, nämlich Süd-Ossetien und Abchasien), nicht einmal von Russland, bis vor Kurzem dem großen Geldgeber. Nostalgisch umständlicher Grenzübertritt mit Tagesvisum, Besichtigung der alten Festung Bender noch diesseits des Dnisters, ab hier geführt vom lokalen Reiseführer Andrej Smolenskij. Dann entlang der Überland-Obuslinie von Bender über den Fluss bis zum kleinen und verschlafenen Hauptstädtchen Tiraspol. Vorm Parlament grüßt eine imposante Lenin-Statue. Üppiges ukrainisches Mittagessen, bezahlt mit transnistrischen Rubeln, einer Währung, die ebensowenig anerkannt ist wie das abtrünnige Gebiet. Den 5-Rubelschein ziert die örtliche Cognac-Fabrik, die Münzen sind aus „Komposit“, einer Art Kunststoff. Die unwirkliche Fahrt wurde abgeschlossen durch ein anregendes Gespräch mit transnistrischen Deutschlehrern.
Freitags ging es wiederum ins „Ausland im Inland“: das Ziel hieß Gagausien (sprich: [GagaUsien]), eine autonome Republik innerhalb des Staates Moldawien. Die rollenden grünen Hügel und Siedlungen sehen dort zwar auch nicht anders aus als im Rest des Landes, aber dort ist die Minderheit der Gagausen zu Hause, einer türkischsprachigen, überwiegend aber christlich-orthodoxen Bevölkerungsgruppe. Wir wurden im gagauischen Wissenschaftszentrum der Hauptstadt Comrat von Dr. Piotr Pashaly und seinem Team sehr gastfreundlich empfangen und in die Geschichte und Gegenwart des Völkchens eingeführt – so wie sie es sehen. Wikipedia ist sich da weniger sicher ...
Nachmittags verließen wir die kleine Republik, um uns die Landschule von Doina anzuschauen, einem ehemals bessarabiendeutschen Örtchen namens Eichendorf. Das ganze Kollegium wartete trotz unserer Verspätung auf uns und bewies, wie man trotz außerordentlich begrenzter Mittel mit viel Enthusiasmus erfolgreich eine Schule führen kann. Eine Abkürzung führte uns zurück zur Hauptstraße. Eine Abkürzung, die es in sich hatte: ein ausgewaschener, holpriger Lehmweg, auf dessen erodierten Furchen unser großer Reisebus nach einem einzigen Regenschauer nicht die geringste Chance gehabt hätte. Heiße Balkanmusik im Bus ließ das Geholper zum unvergesslichen Erlebnis werden.
Samstag mauserten wir uns zu ganz normalen Touristen: Am Höhlenkloster von Orhei Vechi waren wir bei Weitem nicht die einzigen Besucher, ebensowenig wie bei der Weinprobe im unterirdischen staatlichen Weingut Cricova. Bevor es zur Verkostung ging, sahen wir auch den Saal, in dem Putin seinen 50. Geburtstag feierte, und die Weinsammlung mit einem Teil von Hermann Görings Beutewein, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die moldauische Sowjetrepublik gelangt war.
Abschied von Moldawien am Sonntag. Eine Zickzackfahrt durchs Land, bedingt durch die wenigen Straßen über die gewaltigen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Hügel Moldawiens, brachte uns schließlich zur EU-Außengrenze, an der wir penibel kontrolliert wurden. Direktere, deswegen aber nicht weniger holprige Straßen brachten uns am Nachmittag auf rumänischer Seite durch die Provinz Moldau schließlich bis Suceava in der Bukowina. „Su... was?“ Da gingen die Aussprachen in der Gruppe auseinander. Einigen wir uns einfach auf die rumänische Aussprache: ['Sutschawa].
Noch vor dem – wie immer üppigen – Abendessen trafen wir Mitglieder des „Demokratischen Forums der Deutschen in der Bukowina“ in ihrem Vereinshaus. Bei Wein und selbstgemachtem Likör hatten wir Gelegenheit, während eines interessanten Vortrags von Frau Anna Maria Gheorghiu und bei netten persönlichen Gesprächen mehr über Gegenwart und Vergangenheit der „Buchenlanddeutschen“ zu erfahren. Die Bukowina war ein von 1774 bis 1918 von Österreich nach bestem Wissen und Gewissen regierter Teil der KuK-Monarchie. (Welcher von den beiden Aspekten dabei schwerer wog, darüber entspann sich eine lebhafte Diskussion in der Gruppe.)
Montag war Schultag, auch für uns. Zwei Sekundarschulen hatten sich liebevoll auf unseren Besuch vorbereitet. Es gab Vorträge, von Schülern erstellte PowerPoint-Präsentationen zu ihren Zukunftsplänen, und live vorgetragenen Gesang. Den Höhepunkt bildete eine Stadtführung in Kleingruppen, durchgeführt von Oberstufenschülern. Das war eine tolle Sache, erfuhr man doch nicht nur etwas über Suceava, sondern auch über ihre Pläne und Gedanken über die Welt.
Den Nachmittag verbrachte die Gruppe in dem Städtchen Radauti (dt. Radautz) nördlich von Suceava nahe der Grenze zur Ukraine. Herr Eduard Mohr, einer der letzten aus einer einstmals großen deutschen Bevölkerungsgruppe, führte uns engagiert und kenntnisreich durch seine Stadt.
Der letzte Tag in der Bukowina, Dienstag, ließ uns wieder zu normalen Touristen werden. Die berühmten, zum Weltkulturerbe zählenden Moldauklöster standen auf dem Programm. Der Bus brachte uns tief in die bewaldeten, mittelgebirgsartigen Ostkarpaten bis zu den drei Klöstern Voronet, Moldovita und Sucevita. Mit ihren charakteristischen weit ausladenden Holzdächern und ihrer kunstvollen Außenbemalung sind sie weltweit einzigartig und waren auch bei dem nachmittags einsetzenden Regen einen Besuch wert. Zwischendrin staunten wir im Eiermuseum von Vama nicht schlecht über die schier unbegrenzten Möglichkeiten, ein schlichtes Ei zu bemalen.
Mittwoch ging die eindrucksvolle Reise zu Ende. Busfahrer Alexander brachte uns zum Flughafen in Iasi, einer post-sozialistischen Industriestadt par excellence mit ausgedienten Stuttgarter Straßenbahnen, und von dort zurück über Wien nach Stuttgart.
Unsere Reisegruppe war von der aufwändigen Vorarbeit, insbesondere von der Mobilisierung so vieler kompetenter Gesprächspartner vor Ort in Moldawien und der Bukowina beeindruckt. Viele verabschiedeten sich mit „Auf ein nächstes Mal!“
Martin vom Ende
Martin-Gerbert-Gymnasium, Horb
Lehrerstudienfahrt nach Südböhmen und Südmähren
vom 26. Mai bis 2. Juni 2015
22 Lehrerinnen und Lehrer aus weiterführenden baden-württembergischen Schulen führte die regelmäßig in den Pfingstferien stattfindende Studienfahrt dieses Jahr nach Südböhmen und Südmähren. Ausgehend von drei Hauptstationen Pilsen/Plzen, Brünn/Brno und Budweis/Ceské Budejovice wurden jeweils Erkundungen in das Umland unternommen.
Den Auftakt machte die diesjährige Kulturhauptstadt Europas Pilsen/Plzen. Nach einer Einführung in das tschechische Schulsystem beim Koordinierungszentrum für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch Tandem und einem Einblick in dessen Tätigkeitsfelder, stand eine Sprachanimation auf dem Programm: In den Räumlichkeiten eines deutsch-tschechischen Kindergartens lernten die Lehrerinnen und Lehrer spielerisch tschechische Wörter und Redewendungen, die sie anschließend bei einer interaktiven Stadtführung festigen konnten. In Kleingruppen wurden dann Pilsener Sehenswürdigkeiten wie die Loos-Interieure, die Synagoge oder das Marionettenmuseum besucht, bevor im deutsch-tschechischen Begegnungszentrum der über 90-jährige deutschstämmige Anton Hofmann ausführlich aus seinem Leben erzählte.
Weiter ging die Reise über die Böhmisch-Mährische Höhe nach Brünn/Brno. Bei einem Zwischenstopp in Iglau/Jihlava stellte Frau Dr. Alena Jakubícková in einem interessanten Vortrag den Komponisten Gustav-Mahler vor, der längere Zeit in Iglau/Jihlava lebte. Außerdem führte sie die Gruppe durch eine ihm gewidmete Ausstellung sowie die Katakomben der Stadt.
In Brünn/Brno referierte die Ethnologin Dr. Jana Noskova zu ihrer Forschungsarbeit über die Brünner Deutschen im 20. Jahrhundert und fand sogar unter den Mitreisenden weitere mögliche Interviewpartner.
Für die Lehrerinnen und Lehrer besonders bereichernd waren der Besuch des deutschen Gymnasiums und die Möglichkeit, in Kleingruppen bei zwei unterschiedlichen Unterrichtseinheiten hospitieren zu können. Nach einer Stadtführung, die auf dem Spielberg/Špilberk, einer auf einer Anhöhe liegenden Festung endete, nutzte ein Teil der Gruppe die Gelegenheit, im Roma-Museum mehr über die Geschichte und das Leben dieser Minderheit zu erfahren.
Bei einem Ausflug in die Universitätsstadt Olmütz/Olomouc beeindruckte die größte freistehende Barockskulptur Mitteleuropas, um die herum der Wochenmarkt mit vielen Leckereien lockte. Weiter ging die Fahrt dann in den Mährischen Karst/ Moravský kras. Dort unternahm die Reisegruppe auf dem unterirdischen Fluss der Punkva-Tropfsteinhöhle eine Schiff¬fahrt und konnte so zumindest für eine gewisse Zeit dem starken Regen entgehen.
Wieder in Richtung Westen auf dem Weg zur dritten und letzten Station der Studienfahrt, Budweis/Ceské Budejovice, wurde Halt in Trebitsch/Trebíc und in Wittingau/Trebon gemacht. Das jüdische Viertel in Trebitsch/ Trebíc gilt als das am besten erhaltene und größte Europas und gehört zusammen mit der romanischen St.-Prokop-Basilika zum UNESCO-Weltkulturerbe. In Wittingau/Trebon, das von zahleichen Fischteichen, Sümpfen, Mooren und einer hügeligen Landschaft umgeben ist, hatten die Mitreisenden Zeit, das malerische Städtchen auf eigene Faust zu erkunden. Die Kurstadt ist das Zentrum der böhmischen Karpfenzucht und außerdem Standort des Renaissanceschlosses der Fürsten Schwarzenberg.
Am Abend stattete ein Deutschlehrer im Auslandsschuldienst den baden-württembergischen Kolleginnen und Kollegen einen Besuch ab, erzählte von seinen Erfahrungen im tschechischen Berufsalltag und beantwortete die Fragen der interessierten Teilnehmer.
Am letzten Tag ging es nach Böhmisch Krumau/Ceský Krumlov, dem „Venedig an der Moldau“ und der Wirkungsstätte des Malers Egon Schiele. Das gesamte historische Stadtzentrum gehört zum Weltkulturerbe und wurde sowohl zu Fuß als auch auf dem Floß erkundet.
Zum Abschluss der Reise durfte eine Besichtigung der Brauerei in Budweis/Ceské Budejovice natürlich nicht fehlen, bevor es dann über den Böhmischen und Bayerischen Wald wieder zurück nach Stuttgart ging.
***
Mein Reiselexikon nach Südböhmen und Südmähren von Martin Jösel, badischer Reiseteilnehmer
A wie ahoj
B wie Budweiser Biergenuss
C wie Chinesenchaos beim Frühstücksbuffet
D wie drogensüchtige Doggen auf der Autobahn
E wie ereignisreiche Erkundungen in Tschechien
F wie frauenbetörende Flößer auf der Moldau
Nein, so einfach abc-mäßig schreibt man keine anständigen Reise-Impressionen. Vielleicht besser so: F wie Fluchtkoffer.
Da steht er in meinem Zimmer zwischen den alten Folianten und meinem Flügel: diese Holzkiste, 50 mal 50 mal 90 Zentimeter, zwei rostige Tragegriffe, die Aufschrift verblasst: Richard Beck, Vrbno, Würbenthal 226. Heimat meiner Großeltern, meiner Mutter, die so oft von diesem Haus erzählt, das heute noch – fast unverändert – steht und bewohnt wird, im Sudetenland, das die Familie verlassen musste.
Nicht Flucht, sondern Vertreibung, wie meine Mutter noch heute betont.
Ohne Verbitterung, aber mit klarer Stimme.
*
Unsere Studienreise nach Südböhmen und Südmähren: sorgfältig, abwechslungs- und kenntnisreich vorbereitet und durchgeführt von Dr. Diane Dingeldein, schwäbisch-charmant chauffiert von Michael Albert. Diese unvergessliche Reise war für viele von uns nicht nur die Begegnung mit der eigenen Biographie, unseren eigenen Lebensspuren und -wurzeln; sie war zugleich die Begegnung mit einem kleinen Zipfel Mitteleuropas, der uns mit seiner Landschaft, seinen Städten und Schluchten, aber vor allem mit seinen Menschen freundlich empfing:
- die strumpfig-junge Sprachanimations-Kindergärtnerin in Pilsen – jooooh,
- der erzählfreudige alte Bergmann,
- die dezente Mahler-Kennerin in Iglau,
- der kurze und der lange Gymnasialprofessor in Brünn,
- die methodenreflektierende Historikerin, erfreulich powerpoint-resistent,
- die pausbäckige Stadtführerin mit Hebräisch-Kenntnissen,
- die Grande Dame auf den Wegen durch Krumau und Budweis:
Sie alle vermittelten uns i h r e Arbeits- oder Wohnstätten und ließen uns an ihrem h e u t e gelebten Leben in Tschechien teilhaben: an ihrer Biographie, ihrer Geschichte, irgendwo zwischen altem Habsburg-Reich, Kriegen, Kommunismus, einer Prise Katholizismus und Kapitalismus. Immer noch – so schien es mir – sind viele Tschechen auf der Suche nach i h r e r Identität im 21. Jahrhundert.
Und fast hätte der tschechische Präsident, der sich offensichtlich ebenfalls auf Studienfahrt befand, uns noch höchstpersönlich ein Gespräch gegönnt!
Nun mache ich mich an die Restauration der herrlich kaputten Antiquariatsfunde - und meiner betrübten Seele nach der Niederlage des Karlsruher Sportclubs gegen Hamburg.
*
S wie Smetana (tsch. die Sahne)
T wie traumhafte Tropfsteinhöhlen
U wie ungewöhnlicher Unterricht
V wie vegetarische Vollkost
W wie Weiterfahrt nach Wittingau
X und Y wie x-mal angetippt: youtube vytopna brno
Z wie Zimmerbezug und zungenbrechertschechische Zischlaute
Lehrerstudienfahrt in die Baltischen Länder 2014
Wie in jedem Jahr organisierte das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg in den Pfingstferien eine Lehrerstudienfahrt ins östliche Europa. Das Angebot, Land und Leute über die Touristenpfade hinaus besser kennenzulernen, richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer weiterführender Schulen in Baden-Württemberg, die die Fächer Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Gemeinschaftskunde, Kunst, Religionslehre oder Ethik unterrichten.
25 Personen nahmen vom 10. bis 17. Juni 2014 an der Reise in die baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland teil. Sie startete in der südlichsten Hauptstadt, in Vilnius/Wilna. Hier konnten die Mitreisenden zwischen drei verschiedenen Stadtführungen wählen, die entweder den Schwerpunkt auf das russische, das deutsche oder das jüdische Erbe in der Stadt setzten. Bei der Weiterfahrt nach Trakai mit der Inselburg, deren Besichtigung und den anschließenden Spaziergängen entlang der Seen tauschte die Gruppen untereinander den neu erworbenen Wissensstand rund um Vilnius/Wilna und deren multikulturelle Bevölkerung einst und heute aus.
Der folgende Tag startete mit einer Führung durch Klaipeda/Memel, vorbei an zahlreichen Statuen, die nach dem dortigen Volksglauben bei Berührung Wünsche erfüllen und Glück in allen Bereichen des Lebens versprechen. Auf dem Platz vor dem Theater gab eine Gruppe Musiker das bekannte Lied des in Memel geborenen niederdeutschen Dichters Simon Dach „Ännchen von Tharau“ zum Besten. Die Figur des „Ännchens“ ist dort auf dem Simon-Dach-Brunnen zu sehen. Nach einem Besuch im Bernsteinmuseum, der bei einer Reise in die baltischen Länder nicht fehlen darf, ging es mit der Fähre auf die Kurische Nehrung.
Die hier in den typischen Farben eisenrot, kobaltblau und titanweiß gestrichenen Holzhäuser zwischen Pinienwäldern und Dünen machen diesen Landstrich zu einem beliebten Erholungsziel. Dies wusste schon der Schriftsteller Thomas Mann, dessen zu einem Museum umgebautes Sommerhaus der Gruppe Einblicke in sein Leben und Wirken gab. Nach einer Bootsfahrt entlang des Haffs und der Besteigung der Großen Düne mit einer grandiosen Aussicht endete der Abend im Simon-Dach-Haus in Klaipeda/Memel. Bei Bratwurst, Reis, Gemüse und Bier stellten Memeldeutsche die Entstehung und Tätigkeiten ihres Vereins vor und beantworteten die Fragen der interessierten Lehrerinnen und Lehrer.
Die letzte Station in Litauen war der Berg der Kreuze bei Šiauliai/Schaulen. An diesem Berg, der für Süddeutsche eher ein Hügel ist, wirkte die besondere Atmosphäre dieser Gedenkstätte des litauischen Selbstbewusstseins auf die Gruppe.
Auch das darauf besuchte lettische Schloss Rundale/Ruhenthal ist eine Attraktion. Sie gab Aufschluss über den Lebensstil des Adels, der über Jahrhunderte die Landschaft mit prägte. Leider blieb im Anschluss an die informative Führung durch die Räumlichkeiten im Inneren aufgrund einsetzenden Regens nur wenig Zeit, die weitläufig angelegte Parkanlage kennenzulernen.
Gleich zwei Tage sollten dem Aufenthalt in der größten Stadt der baltischen Länder und der diesjährigen Kulturhauptstadt Europas Riga/Riga gewidmet werden. Am Abend berichtete ein deutscher Lehrer im Auslandsschuldienst über seine Erfahrungen in Lettland, was zu interessanten Diskussionen anregte.
Am nächsten Tag stand die Erkundung der Innenstadt auf dem Programm: zunächst mit einer Kanalfahrt auf der Daugava/Düna und dann zu Fuß. Zur Mittagszeit erwartete die Reisegruppe ein stimmungsvolles Orgelkonzert in der Domkirche, bei dem man den Trubel draußen vergessen konnte. Bis zur Abfahrt nach Jurmala/Rigastrand am Nachmittag blieb dann nach genügend Zeit, um das berühmte Jugendstilviertel, die Markthallen oder das lettische Okkupationsmuseum auf eigene Faust zu erkunden.
Nur wenige Kilometer außerhalb Rigas bot sich danach die Gelegenheit, am Strand spazieren zu gehen, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen und mit den Füßen in der Ostsee zu baden – all das eine willkommene Abwechslung nach dem kulturbezogenen Programm.
Als informativ und zugleich erholsam zeigte sich eine kleine Wanderung durch den Gauja-Nationalpark, die mit einer Seilbahnfahrt ab Krimulda über die Gauja/Liviländische Aa startete und mit der Besichtigung von Sigulda/Segewold und dem Freilichtmuseum Turaida/Treyden endete. Damit endete auch der Aufenthalt in Lettland und die Reise ging weiter in das dritte und letzte zu besuchende baltische Land: Estland. In der Universitätsstadt Tartu/Dorpat endeckten die Lehrerinnen und Lehrer mit Stadtplänen ausgestattet die Sehenswürdigkeiten vor Ort. Am Abend erwartete sie dann ein typisch estnisches Abendessen mit Pilzsuppe, Fleisch, Kartoffelbrei und einem Apfelkuchen mit gedörrten Äpfeln und Schlagsahne.
Für den nächsten Morgen hatten Schülerinnen und Schüler der Abteilung Tourismus des Berufsschulzentrums in Tartu/Dorpat, der größten berufsbildenden Schule Estlands, Beiträge zur estnischen Kulturgeschichte vorbereitet, die sie auf Englisch vortrugen. Daran anschließend stellte die Reisegruppe Fragen zur deren zukünftiger Arbeitssituation in Estland und ließ sich die Einrichtung des Zentrums zeigen.
Gegen Mittag erreichte der Bus dann den Peipussee, dessen Mitte die Grenze zu Russland bildet. In dieser Region sind die russischsprachigen Altgläubigen zu Hause. Sie leben sehr zurückgezogen und dulden keinen Tourismus in ihrer Region. Im einzigen Restaurant im größten Ort Mustvee/Tschorna gab es für alle eine russische Soljanka.
Im Nationalpark Lahemaa stattete die Gruppe einem der ersten restaurierten Gutshöfe, Palmse, einen Besuch ab, und genoss dann den rauen Wind und die klare Luft in dem verschlafenen Fischerdorf Altja.
Den Abschluss der Fahrt bildete die mittelalterliche und zugleich sehr moderne estnische Hauptstadt Tallinn/Reval. Am frühen Morgen noch ruhig und beschaulich, füllte sich die Stadt im Laufe des Vormittags – ähnlich wie in Riga /Riga – mit Reisegruppen, die zusammen mit mittelalterlich kostümierten Personen auf der Straße, die in Restaurants oder zu Veranstaltungen einladen.
Trotzdem dürfen die großen Städte bei einer Reise in die baltischen Länder nicht fehlen. Gerade die Mischung aus quirliger Großstadt und unberührter Natur macht den Reiz der drei Länder aus.
Für viele Lehrer stand am Ende fest: Eine auf der Landkarte bis dato unbekannte weiße Fläche konnte mit Inhalten aus eigener Anschauung gefüllt werden. Die sehr komplexe Geschichte der baltischen Länder bot Anregungen für den Unterricht, und wer weiß, vielleicht regte diese Fahrt zu Klassenfahrten in den Nordosten Europas an – am besten immer mit Sonnenbrille und Regenschirm im Gepäck.