Zeitzeugengespräche
Der Schlüssel der Geschichte ist nicht in der Geschichte, er ist im Menschen.
(Théodore Simon Jouffroy)
Zeitzeugenberichte sind persönlich und individuell. Sie ermöglichen einen direkten Zugang zu historischen Ereignissen. Dadurch wird die Geschichte lebendig und fassbar. Sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für die Zeitzeugen selbst sind die Gespräche stets eine Bereicherung und sorgen für die Erweiterung des (Wissens-)Horizonts, fernab der eher theoretischen Geschichtsbücher.
Das HdH BW bietet Zeitzeugengespräche als Unterrichtseinheit, für Projekte oder Seminarkurse zu den Themen:
- Flucht und Vertreibung
- Migration und Integration
- Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa.
Beispiele:
Schülerinnen und Schüler des Seminarkurses Zuflucht in Stuttgart der Klasse 12 an der Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule sprachen mit vier Zeitzeugen.
Im Rahmen der Ausstellung Die Sudentendeutschen Sozialdemokraten fand im HdH BW ein Zeitzeugengespräch mit Olga Sippl statt.
Im Schuljahr 2018/19 fanden mehrere Termine des Seminarkurses "Deutsch-russsische Beziehungen in Geschichte und Gegenwart" an der Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule Stuttgart im HdH BW statt. Die abschließende Aufgabenstellung dabei war es, auf Basis von Zeitzeugengesprächen und Experten-Interviews eine Dokumentation zusammenzustellen.
Zeitzeugengespräche
In der abschließenden Feedback-Runde waren sich alle einig: Die Gespräche mit den Zeitzeuginnen haben das Thema „Deutsch-russische Beziehungen“ um eine weitere, wichtige Perspektive erweitert. Die Teilnehmer-/innen des Seminarkurses hatten Fragen vorbereitet, die sie Elisabeth Reimer, Lilli Ruckgaber, Ruth Klötzel und Marina Müller stellen wollten. Die vier Russlanddeutschen waren in den 1990er-Jahren als Spätaussiedler mit ihren Familien nach Deutschland gekommen. Warum hatten sie Russland verlassen? Wie erlebten sie die Ankunft, was fiel schwer, was war einfach – wie war das mit der Sprache? Auch: Wie schauen sie heute auf Russland, wie leben ihre Kinder mit dieser Familiengeschichte? Die vier Interview-Gruppen machten die Erfahrung, dass die vorbereitete Fragenfolge im Laufe des Gesprächs aufgegeben werden musste, Flexibilität in der Gesprächsführung gefordert war. „Das liegt an der offenen Form: Ihr hattet kein definiertes Ziel, das ihr ansteuern wolltet“, analysierte Lehrer Martin Gansen. Die Expertengespräche, die der Seminarkurs noch führen wird, werden andere Interviewtechniken erfordern.
18 Zwölftklässlerinnen und -klässler der Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule in Stuttgart nahmen im Schuljahr 2016/17 am Seminarkurs Zuflucht in Stuttgart unter der Leitung von Martin Gansen teil. Sie befassten sich mit der Ankunftssituation im deutschen Südwesten sowohl historisch als auch gegenwärtig. Am Ende des ersten Halbjahres und als Abschluss des ersten historischen Teils des Seminarkurses sollten die Schülerinnen und Schüler Zeitzeugengespräche mit nach Baden-Württemberg eingewanderten Personen führen und darüber eine Facharbeit schreiben. Für den historischen Teil kooperierte die Schule mit dem HdH BW, insgesamt drei Termine fanden statt.
Zeitzeugengespräche
18. November 2016
Nach intensiver Einarbeitung in das Thema und dem Aneignen von Hintergrundwissen zu den historischen Regionen im östlichen Europa trafen die Schülerinnen und Schüler auf ihre Gesprächspartner. Das HdH BW hatte vier Zeitzeugen eingeladen: Helmut Letfuß, Sudentendeutscher, Katharina Martin-Virolainen, Russlanddeutsche, Erwin Krich, Siebenbürger Sachse und Günther Vossler mit bessarabiendeutschen Wurzeln.
Kleingruppen führten die Gespräche, die weit mehr als einseitige Befragungen wurden: Es entwickelte sich ein gegenseitiger Austausch. Da alle Jugendlichen selbst einen Migrationshintergrund hatten, konnten auch sie von ihren Erfahrungen bei der Ankunft in Deutschland berichten.
Bei der gemeinsamen Abschlussrunde zeigten sich beide Seiten tief beeindruckt von den vorangegangenen Gesprächen – es war sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für die Gesprächspartner eine Bereicherung. Zum Schluss äußerte Katharina Martin-Virolainen die Hoffnung, dass die Jugendlichen eines Tages den Mut finden würden, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Nur durch Wissen könne Verständnis aufkommen und Integration gelingen.
Im Rahmen der Ausstellung „Die Sudetendeutschen Sozialdemokraten“ vom 11.6.2013 bis 24.7.2013 fand im Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg ein Zeitzeugengespräch statt.
„Solange mein Gehirn noch funktioniert, benutze ich es auch.“ Olga Sippl, Jahrgang1920, hält immer wieder Vorträge und führt Gespräche, um die Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegsjahre, die sie in Karlsbad erlebte, weitergeben zu können und damit lebendig zu erhalten.
So auch im Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg vor Schülern des Winnender Georg-Büchner-Gymnasiums. Die jungen Leute hörten der Antifaschistin und Zeitzeugin gebannt zu.
Vor ihren Augen entstanden Bilder einer Zeit, in der Arbeitssicherheit ein Fremdwort war und in den Karlsbader Porzellanfabriken unter fürchterlichen Bedingungen produziert wurde. So bekamen die Ideen der Sozialdemokratie Nahrung, auch Olga Sippl engagierte sich in der Arbeiterbewegung.
Als 1933 zahlreiche Sozialdemokraten vor den Nazis aus Deutschland in die Tschechoslowakei flohen, unterstützten sie Genossen wie Olga Sippl tatkräftig. Sie waren erklärte Gegner des Hitler-Regimes.
Olga Sippl erzählte von ihrer ersten Arbeitsstelle in Prag ab 1938, von der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten, von gefahrvollen Zeiten, in denen sie mithalf, die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ von Karlsbad nach Deutschland zu schmuggeln, und von ihrem Engagement nach Kriegsende im Karlsbader Antifa-Büro. 1946 wurde sie mit vielen anderen Sudetendeutschen Sozialdemokraten ausgesiedelt.
Eine solche Form der Geschichtsvermittlung wirkt eindringlich und beschäftigt nachhaltig. Nach dem Gespräch arbeitete die Gruppe das Thema unter Anleitung zweiter Mitarbeiter des Hauses der Heimat des Landes Baden-Württemberg in zwei Workshops auf.