Zwischen Südwest und Nordost

Büchners Erzählung „Lenz“ kennen viele, die große Bedeutung der Werke von Lenz, besonders für das Theater, ist Literaturwissenschaftlern bekannt – aber wer weiß etwas über den Dichter Lenz?
Gregor Babelotzky, Leiter des Jakob Lenz Archivs in Heidelberg, stellte im Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg seinen Lebens- und, großes Wort, Leidensweg vor. Von den Zeitgenossen wurde er als Beispiel einer „gescheiterten Existenz“ klassifiziert. Der einzige Nachruf in Literaturmedien 1792 schrieb, er werde „von niemandem vermisst“. Der strenge Vater, der als Pietist extrem harte Strafpredigten hielt, sah in der „ewigen Tiefsinnigkeit der Gedanken“ den Grund für das Versagen des Sohnes. Der schwankte laut Babelotzky sein kurzes Leben lang zwischen den Lebensentwürfen „freier Schriftsteller“ und „pflichtbewusster Prediger“. Goethe himmelte er, wie viele, an, dachte, ihm näher zu kommen, indem er sich mehrfach in Frauen aus dessen Umfeld verliebte – jedes Mal unglücklich. Immer weniger galt Lenz als sozial kompatibel, immer mehr fiel er auf, wurde wegen psychischer Krankheit grausam „behandelt“.

Lenz kam, auch räumlich, niemals irgendwo an. Die Forschung wertet Quellen zu Lebensstationen in Livland, dem Elsass, Emmendingen (dort wohnte Goethes Schwester Cornelia), Weimar, Moskau aus. Sie liegen mittlerweile zu einem großen Teil in Krakau. Auch die Arbeit des Lenz-Archivs kann Fragen, die beschäftigen, nicht beantworten: Was führte zu dem kategorischen Bruch der so wichtigen Freundschaft mit Goethe, der Lenz zwang, Weimar zu verlassen? Woran starb Lenz? An dem Abend im HdH BW las Aurelia Orel aus seinen Briefen und Werken – und aus Büchners „Lenz“: Die Novelle bleibt ein unbedingt empfehlenswerter Weg, sich der Persönlichkeit Jakob Michael Reinhold Lenz zu nähern.
Veranstaltungs-Info

... Die Lebensreise des Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz
Vortrag: Dr. Gregor Babelotzky
Lesung: Aurelia Orel
Das Leben des Stürmers und Drängers Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) spielte sich zwischen dem Osten und Westen Europas ab. Geboren und aufgewachsen in Livland (heute: Lettland/Estland), begann er ein Theologie-Studium in Königsberg und brach von dort auf ins Elsass und den deutschen Südwesten, um Schriftsteller zu werden: Schon bald feierte er dort große Erfolge mit Dramen, die Wegbereiter des modernen Theaters sind. Als Goethe am Weimarer Hof Fuß fasste, folgte er ihm – Goethe warf ihn jedoch Knall auf Fall hinaus. Auf einen psychischen Zusammenbruch folgten Jahre erfolgloser Versuche, sich im Baltikum eine Existenz aufzubauen. Lenz starb mit nur 41 Jahren in Moskau. In Deutschland war er da schon nahezu vergessen. Sein Leben und Werk aber fanden breiten Widerhall, nicht nur in Georg Büchners Erzählung «Lenz», sondern auch auf Theater- und Musiktheaterbühnen.
Dr. Gregor Babelotzky promovierte über Lenz an der Universität Heidelberg. Nach einer Editionstätigkeit an der University of Cambridge leitet er nun das Jakob Lenz Archiv Heidelberg (jakoblenz.de). 2021 erschien von ihm: Lenz, «Kann Er auch zeichnen?». Skizzen aus dem Nachlass.
Aurelia Orel ist freiberufliche Sprecherin und Master Studentin im Bereich Mediensprechen an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei. Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.