Verflechtungen

Im 19. Jahrhundert feierten Kompositionen Erfolge, die sich vom Konzept einer „absoluten Musik“ deutlich absetzten: Einen Bezug zu den Erfahrungs- und Vorstellungswelten der Hörerinnen und Hörer sollten die Werke haben, Anknüpfungspunkte außerhalb der Musik anbieten. Solchen „Verflechtungen“ folgten Prof. Dr. Joachim Kremer und das Klavier-Duo Jost Costa in ihrem „Vortragskonzert“.
Naturerlebnisse und historische Begebenheiten, Erinnerungen an vergangene Zeiten und Alltagsereignisse wurden musikalisch dargestellt – Gemälde aus Ton und Rhythmus kreiert. Antonín Dvořák (1841–1904) erzählt von einer Spinnstube in „Aus dem Böhmerwald“, Kremer beschrieb deren Funktion als dörflicher Treffpunkt der Frauen, hob die Bedeutung der Kulturtechnik des Spinnens, des Geschichtenerzählens während dieser Handarbeit hervor. Johannes Brahms (1833–1897) greift in seinen Walzern die Tanzmusik einer Generation auf, die sich nicht mehr steif und gezirkelt im Menuett bewegen möchte, sondern als „brausender Strudel“ und in „wirbelndem Tumult“ auf dem Tanzboden die Älteren zutiefst verstört.
Den Höhepunkt des Konzertabends bildete Jost Costas Interpretation von Bedřich Smetanas (1824–1884) „Die Moldau“ im Satz für Klavier zu vier Händen. Jede und jeder kennt das Werk – was für eine Überraschung, wie die schon beim Erscheinen von der Fachpresse gefeierte „kluge Orchestrierung“ im von Smetana selbst geschriebenen Klaviersatz übertragen wird. Das perlende Quellwasser, der fröhlich-naive Tanz, der majestätisch fließende Strom, die gefährlich wilden Stromschnellen: ein einziges Instrument malt all diese „Reisebilder“, in einer Farbigkeit, die erklärt, warum „Die Moldau“ zum Dauerbrenner auf den Konzertprogrammen werden konnte.
Veranstaltungs-Info

Ein besonderes Konzert führt in die musikalische Welt Böhmens und deren Bereicherung durch Volksmusik, Tanz und Märchenmotive.
Das Stuttgarter Klavierduo Jost Costa und der Musikwissenschaftler Joachim Kremer spüren in einem Konzertabend mit Werken für Klavier zu vier Händen von Johannes Brahms, Antonín Dvořák und Franz Schubert sowie dem berühmten Orchesterwerk «Die Moldau» von Bedřich Smetana in der Bearbeitung für zwei Pianisten den Vorstellungswelten des 19. Jahrhunderts nach.
Raffinierte Virtuosität und eine Vorliebe für außergewöhnliche Konzertprogramme zeichnen das von den Pianisten Yseult Jost (Frankreich) und Domingos Costa (Portugal) 2006 gegründete Duo aus. Beide Künstler wirkten u. a. als Dozenten an der Universität Hamburg oder der Musikhochschule Venedig und produzierten Aufnahmen für den SWR, den WDR oder die Deutsche Welle. Das Ziel des Duos ist es, unbekannte Werke neu zu entdecken, die in Kombination mit bekannten Repertoirestücken dann neue, ungeahnte Perspektiven ermöglichen.
Prof. Dr. Joachim Kremer ist Institutsleiter für Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Musik und Musikgeschichte des 15. bis 20. Jahrhunderts sowie französische Musik zwischen 1870 und 1920.
Programm
Johannes Brahms (1833–1897)
16 Walzer op. 39
Antonín Dvořák (1841–1904)
Aus dem Böhmerwald op. 68
(In der Spinnstube, Walpurgisnacht)
Franz Schubert (1797–1828)
Vier Ländler D.814
Bedřich Smetana (1824–1884)
Die Moldau, aus «Má Vlast» (Mein Vaterland)
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei. Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.