Serbien: Zwischen allen Stühlen?
Die Lage auf dem Balkan ist konfliktgeladen – und äußerst kompliziert. Auf dem Podium im HdH BW diskutierten der Historiker Klaus Buchenau und der Sozialwissenschaftler Bodo Weber über historische und politische Hintergründe und berichteten über die aktuelle Situation und Stimmung in Serbien.
1999 bombardierte die NATO Serbien, der zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr andauernde Kosovokrieg war der letzte der Kriege, die der Zerfall Jugoslawiens nach sich zog. Und er machte endgültig deutlich, so Bodo Weber, dass das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama), die Durchsetzung der liberalen Demokratie als überlegene Staatsform, nicht stattgefunden hat. Beide Wissenschaftler legten Erklärungsansätze dar, wie Unsicherheiten inmitten von Transformationsprozessen zur Bildung von Autokratien beitragen können. Sie diskutierten, inwieweit die unterschiedlichen Interessen mächtiger Staaten oder Staatenbünde die Geschicke einzelner Nationen beeinflussen, von außen dazu beitragen, welches politische System sich innen bildet – ob gewollt oder ungewollt.
Für die Entwicklung Serbiens war die Rolle der EU mit ihrem starken Instrument der Beitrittsverhandlungen zentral, so war sich das Podium im HdH BW einig. Buchenau beschrieb eine „Agenturbeziehung“: Serbien löse seine Sicherheitsprobleme, konkret: die Beziehung zum Kosovo, dämme Transitmigration ein und liefere Stabilität, dafür führte die EU den Aufnahmeprozess fort. Die Förderung einer „aktiven Demokratie“ sehe anders aus, so Buchenau. Den großen Einfluss Russlands führte der Historiker auch auf eine jahrhundertealte Verbundenheit zurück, sprach die Rolle der Orthodoxen Kirchen beider Länder an.
Beide Wissenschaftler besuchen immer wieder den Balkan und Serbien. Im HdH BW beschrieben sie die Stimmung in einem Land, das von einem nicht unerheblichen Teil der jüngeren Generation Richtung EU verlassen wird, in dem das wirtschaftliche Vorwärtskommen möglich ist, aber vom Besitz des richtigen Parteibuches abhängt: Die Fortschrittspartei von Aleksandar Vučić hat heute mehr Mitglieder als zu Zeiten Jugoslawiens. Das „Ende der Geschichte“ ist noch lange nicht erreicht.
Veranstaltungs-Info
Aleksandar Vučić, Serbiens zunehmend autoritär regierender Präsident, setzt ungeachtet des russischen Angriffs auf die Ukraine seine Politik des Lavierens zwischen der EU, Russland und China fort. Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner und Investor, Serbiens 2012 eingeleiteter EU-Beitrittsprozess stagniert jedoch seit Jahren. Immer weniger Menschen im Land unterstützen einen Beitritt. Russland genießt als historischer Verbündeter hohes Ansehen in der Bevölkerung, China wiederum finanziert große Infrastrukturprojekte im Land.
Seit einiger Zeit drohen zudem die Spannungen mit dem Kosovo wieder zu eskalieren. Damit sind die positiven Schlagzeilen von Anfang des Jahres, als Novi Sad als erste Stadt außerhalb der EU den Titel einer Kulturhauptstadt Europas übernahm, endgültig vergessen.
Wie geht es weiter mit Vučićs "Stabilokratie", deren außenpolitisches Geschäftsmodell zunehmend unter Druck gerät? Welche Rolle spielen die Konflikte der Vergangenheit für die Gegenwart des Landes und seiner Nachbarn?
Darüber diskutieren
Klaus Buchenau, Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg, und Bodo Weber, politischer Analyst und Senior Associate des Democratization Policy Council (DPC), Berlin
Moderation: Rainer Bobon (HdH BW)
Der Eintritt ist frei. Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei.
In Kooperation mit dem Europa Zentrum Baden-Württemberg und Europe Direct Stuttgart