Sabrina Janesch: Sibir

Sabrina Janesch las im HdH BW aus ihrem jüngsten Roman Sibir. Im Gespräch mit Ira Peter erzählte sie von der Gastfreundschaft in Kasachstan, von ihren Vorfahren, die als Handwerkerfamilie in der Fremde härteste Zeiten überlebten – und erklärte, warum ihr Buch ein „Roman über Freundschaft“ sei.
Sabrina Janeschs Familie hat Wurzeln im tschechischen Egerland, wurde, in Galizien lebend, infolge des Hitler-Stalin-Pakts in das Wartheland umgesiedelt und 1945 von der Sowjetarmee nach Kasachstan verschleppt. Ein Familienschicksal, das, konkret, für die komplexen Migrationsbewegungen verschiedener Bevölkerungsgruppen im zwanzigsten Jahrhundert, abstrakt, stehen kann. Es diente als autobiografischer Hintergrund, den Sabrina Janesch in ihrer Geschichte zweier Kindheiten aufgenommen hat: Der kleine Junge Josef Ambacher steigt 1945 mit seiner Familie aus dem Zug und findet sich in der kasachischen Steppe wieder, hat unter den Füßen „störrisches Kraut“ statt saftiges Gras, wundert sich über vieles. Zum Beispiel darüber, dass in dieser Fremde schon Deutsche leben. Sie wurden 1941, vier Jahre zuvor, hierher deportiert. Der erwachsene Josef Ambacher lebt in den 1990er-Jahren in Norddeutschland, gehört zu den 1955 unter Adenauer ausgetauschten „Zivilgefangenen“. Seine kleine Tochter empfindet sich mit der Familie überall am Rande der Gesellschaft stehend, immer im Abseits. 1989 erlebt sie den Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks am Fernsehbildschirm mit – und kriegt Angst vor einem drohenden Chaos. Die Russlanddeutschen kommen in das Dorf, und ihr Vater ist plötzlich derjenige, der sich schon auskennt, derjenige, der heimischer ist.
Sabrina Janeschs Roman beschreibt, wie zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Gruppen von „Dazugekommenen“ in neuer Umgebung aufeinandertreffen. Er erzählt von Begegnungen zwischen Fremde und Heimat, vom Überwinden von Wänden, die „Echokammern“ der Kommunikation trennen: von Freundschaften über solche Identitätsgrenzen hinweg. Ira Peter zeigte sich im Gespräch davon überzeugt, dass sich Janeschs Text mit der poetischen Kraft, mit der er dieses Thema verarbeitet, am kurzlebigen Buchmarkt lange behaupten wird.
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Sibirien – furchterregend klingt das Wort, das der zehnjährige Josef Ambacher aufschnappt: Die Erwachsenen verwenden es für alles, was im fernen, fremden Osten liegt. Dorthin werden 1945 Hunderttausende deutscher Zivilisten von der Sowjetarmee verschleppt, unter ihnen auch Josef. In Kasachstan findet er sich in einer harten, aber auch wundersamen, mythenvollen Welt wieder.
Mühlheide, 1990: Josef Ambacher wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Woge von Aussiedlern die niedersächsische Kleinstadt erreicht. Seine Tochter Leila steht zwischen den Welten und muss vermitteln.

Sabrina Janesch erzählt in ihrem neuen Roman Sibir die Geschichte zweier Kindheiten, einmal in Zentralasien nach dem Zweiten Weltkrieg, einmal fünfzig Jahre später in Norddeutschland. Ein großer Roman über die Suche nach Heimat, die Geister der Vergangenheit und die Liebe, die sie zu besiegen vermag.
Sabrina Janesch studierte Kulturjournalismus in Hildesheim und Polonistik in Krakau. Ihr Debütroman Katzenberge wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, Die goldene Stadt, veröffentlicht 2017, entwickelte sich zum Bestseller. Sibir ist Ende Januar 2023 bei Rowohlt erschienen.

Ira Peter, Journalistin und Autorin, ist in Kasachstan geboren und lebt seit 1992 in Süddeutschland. Sie studierte französische und russische Literaturwissenschaften sowie Psychologie in Heidelberg und Nizza.
Pressestimmen:
„Ein einfühlsamer und mitreißend erzählter Roman.“ MDR Kultur „Unter Büchern“, 25.01.2023
„Sabrina Janesch hat eine Liebeserklärung an die Familie geschrieben, die weit über das einzelne Schicksal hinausreicht. Wir verdanken ihr einen erschütternden, unbedingt lesenswerten Einblick in ein Leben, über das die meisten Aussiedler geschwiegen haben.“ NDR Kultur „Buch des Monats“, 30.01.2023
„Sabrina Janesch erzählt faszinierend von deutscher Geschichte, die kaum jemand kennt.“ Brigitte, 01.02.2023
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungsraum ist nicht barrierefrei. Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.