Rundfunk in der Diktatur
Als die Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren in Deutschland die Macht erlangten, war das Radio ein noch junges Medium. Es wurde zu Propagandazwecken instrumentalisiert und trug maßgeblich zur Verbreitung der Nazi-Ideen bei.
Auf dem Podium im HdH BW umriss Dr. Jens-Uwe Völmecke kurz die Entstehungsgeschichte des Rundfunks in Deutschland. Zwischen seinem Start 1923 und 1926, als der Berliner Funkturm eröffnet wurde, hatte es sich in rasantem Tempo verbreitet. Gesendet wurde ein kunterbuntes Programm, von der Märchenstunde über die „Stunde für den Landwirt“ bis zum „Schachfunk“ und der Opern-Live-Übertragung. Radiohören war ein (relativ) kostengünstiges Gemeinschaftserlebnis für die ganze Familie (es gab von Beginn an Rundfunkgebühren). Dieses Medium, mit seiner kompletten Infrastruktur und hochentwickelten Technik, erkannte Joseph Goebbels als den idealen Propaganda-Apparat: „Den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen“, kündigte er 1933 öffentlich auf einer Versammlung der Radiointendanten an – wenige Wochen später setzte er Parteifunktionäre auf deren Posten.
Die „Gleichschaltung“ des Rundfunks forderte Opfer. Der jüdische Tenor Joseph Schmidt war eines der prominentesten. Alfred Fassbind, Kurator des Joseph Schmidt-Archivs, beschrieb den Aufstieg und radikalen Sturz des Stars. 38 Opernpartien sang er live im Radio, für spätere Sendungen wurden sie auf Schellackplatten aufgezeichnet. Von 86 Plattenseiten haben nur 8 die Zeit des Nationalsozialismus überlebt. Joseph Schmidts Verträge beim Rundfunk wurden beendet, er musste aus dem Deutschen Reich fliehen, erkrankte in einem Internierungslager in der Schweiz und starb an einer nicht behandelten Herzerkrankung.
Das Podium um den Moderator Michael Seil zog das warnende Fazit: Der Rundfunk startete als demokratisch gedachtes Medium für Massen, in kürzester Zeit wurde es gezielt zum Propaganda-Instrument umfunktioniert. Ein Alarmsignal für die heutige Zeit – und der Anlass für ein engagiertes Plädoyer für einen öffentlichen Rundfunk, der gebührenfinanziert, dadurch unabhängig sein muss.
Veranstaltungs-Info
Das Radio im Nationalsozialismus
In einer Diktatur definieren die Machthaber auch die Regeln der Künste – wer dagegen verstößt, riskiert seine Existenz. In Deutschland bestimmten seit 1933 die Nationalsozialisten, was als schöne Musik zu gelten habe und im Rundfunk zu senden sei – zur eigenen Verherrlichung und zur Befriedigung der Massen. Menschen, die der politischen Opposition zu-
gerechnet wurden, aber auch Juden wie der beliebte Funkopernsänger Joseph Schmidt (1904-1942), verloren ihre Anstellungen beim Rundfunk.
Wie instrumentalisierten die Nationalsozialisten das Radio für ihre Ideologie? Was bedeutete es für einen Künstler, aus politischen Gründen diskriminiert und mit einem Berufsverbot belegt zu werden? Darüber sprechen der Musikwissenschaftler, Hörfunkmoderator und Autor Dr. Jens-Uwe Völmecke, der Biograph und Kurator des Joseph Schmidt-Archivs Alfred Fassbind und der Musikhistoriker Michael Seil (Moderation).
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei. Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.
In der Veranstaltungsreihe „Auf Empfang! 100 Jahre Rundfunk“
Mit einem Gongschlag und der Ansage «Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Vox Haus. Auf Welle 400 Meter» begann am 29. Oktober 1923 um 20 Uhr der regelmäßige Rundfunkbetrieb in Deutschland. Die erste Sendung brachte Kompositionen u. a. von Mozart, Beethoven und Mendelssohn zu Gehör – teils von Schellack-Platten eingespielt, teils live von Musikern aufgeführt.
Anfangs hatten nur wenige hundert Deutsche einen Radio-Empfänger und die behördliche Lizenz zum Zuhören. Trotzdem gingen weitere Rundfunksender, u. a. in Stuttgart, auf Sendung. Im Mai 1924 kam die Schlesische Funkstunde in Breslau hinzu, im Juni 1924 der Sender Königsberg des Ostmarken-Rundfunks. Das junge Medium wuchs rasant, brachte Stars und neue Formate wie das Hörspiel und Live-Reportagen hervor. Die Nationalsozialisten nutzten den Rundfunk ganz für ihre Propaganda, das Radio wurde endgültig zum Massenmedium. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand unter Aufsicht der Alliierten eine neue Rundfunkstruktur mit Kultur- und Bildungsauftrag.
Das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg beleuchtet in seiner Veranstaltungsreihe besondere Aspekte der deutschen Rundfunkgeschichte.
Die nächste Veranstaltung:
11.12.2024
Das Königsberger Streichquartett
Konzert mit Einführungsvortrag. Mit Dr. Klaus Harer. Musik: Sarah Wieck (1. Violine), Miriam Röhm-Wieck (Violine), Emanuel Wieck (Viola), Ofer Canetti (Violoncello)