Otfried Preußler und „Krabat": Eine Geschichte von Macht und Machtmissbrauch

1971 erschien „Krabat“. Otfried Preußler hatte mehr als zehn Jahre an dem Buch gearbeitet. Seine Verleger sorgten sich zwischenzeitlich, ob ihn die Bewältigung des Stoffes gesundheitlich überfordere. Der Literaturwissenschaftler Carsten Gansel, Professor an der Universität Gießen, erzählte im HdH BW mit beeindruckender Detailkenntnis von den Hintergründen.
„Krabat“ stammt aus der sorbischen Sagenwelt. 1958 stieß Preußler auf den Stoff, und er ließ ihn nicht mehr los. Dass dies auch autobiografische Gründe hatte, war 1971 nicht bekannt. In späteren Interviews ging Preußler selbst darauf ein, und Carsten Gansel fand im Rahmen seiner Forschungsarbeiten in russischen Militärarchiven Hinweise darüber, was Preußler an eigenen traumatisierenden Erfahrungen in „Krabat“ verarbeitet hat: Mit 18 Jahren wurde Preußler in seiner Heimat im Sudetenland in die Armee eingezogen, kam zwei Jahre später in Kriegsgefangenschaft, überstand mehrere Lager. Dort schrieb er Gedichte, organisierte Theateraufführungen – trug als junger Mensch auf seine Art zum Überleben auch der Älteren bei. Seine Art, das war das Verpacken von schwer erträglicher Realität in parabelhafte Erzählung.

Im „Krabat“ offensichtlich: Die grauenvolle Mühlenwelt entspricht dem Schrecken der Kriegsgefangenenlager, die Lehrlinge sterben wie die gefallenen Soldatenfreunde, die Unterordnung unter ein totalitäres System ist absolut, jeder Widerstand erfordert höchsten Mut, der „Meister“ ist nicht sichtbar und omnipräsent. Moderator Frank Rudkoffsky und Carsten Gansel waren sich einig: Mit Wissen über Otfried Preußlers Biografie liest man den „Krabat“ anders, empfindet die allgegenwärtige Bedrohung als noch beängstigender. Der Stoff ist zeitlos und Preußlers Verarbeitung, nicht nur aber gerade auch vor diesem Hintergrund, ein Meisterwerk - am Abend belegt durch die Lesung von Isabel Schmier.
Veranstaltungs-Info

Otfried Preußler (1923–2013) gehört mit einer Gesamtauflage von über 50 Millionen Exemplaren zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautoren. Über die dramatischen frühen Jahre des in Böhmen Geborenen war lange wenig bekannt – bis der Germanist Carsten Gansel in einem russischen Militärarchiv Preußlers Kriegsgefangenenakte fand und auf biografische Spurensuche ging.
Im Gespräch mit Frank Rudkoffsky berichtet Carsten Gansel über seine langjährigen Recherchen, seine Einblicke in Preußlers Privatarchiv, über die Auswertung unveröffentlichter Manuskripte. Seine Forschungsergebnisse hat er 2022 in «Kind einer schwierigen Zeit. Otfried Preußlers frühe Jahre» veröffentlicht. Darin zeichnet er das Bild eines von Krieg und Gefangenschaft Traumatisierten, für den das Schreiben zur lebenswichtigen Aufarbeitung wird. Von zentraler Bedeutung dabei ist Preußlers Hauptwerk «Krabat». Isabel Schmier liest daraus.
Carsten Gansel ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und Mediendidaktik in Gießen.
Der Literaturwissenschaftler Frank Rudkoffsky lebt als Autor, freier Journalist und Literaturvermittler in Stuttgart.
Isabel Schmier hat Sprechkunst an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart studiert und arbeitet als Sprecherin und Sprecherzieherin.
Schülerinnen und Schüler des Michelberg-Gymnasiums Geislingen haben Film- und Audioproduktionen zu Otfried Preußler erstellt. Diese können vor und nach der Veranstaltung angeschaut und angehört werden.
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei. Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.