Neues Bauen in (Ost-)Mitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg

Moderne Architektur zur staatlichen Selbstfindung
Avantgarde, Modernismus, Neues Bauen – unter solchen Namen wurde in den 1920er- und 1930er-Jahren eine Richtung der Architektur bekannt, die die eigenen Grundlagen fundamental neu dachte. Im östlichen Europa spielte sie eine besondere Rolle.
Zu Beginn ihres Vortrags wies Beate Störtkuhl darauf hin, dass der von Walter Gropius erfolgreich als Stilbezeichnung vermarktete Begriff „Bauhaus“ nur eine der Schulen der gesamten Bewegung benenne. Dass deren historische Rolle lange Zeit überhöht wurde, gilt mittlerweile als gesichert. Die Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe mit Hans Scharoun, Adolf Rading, Oskar Schlemmer stand weit weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit. Erfunden wurde der Begriff „Bauhaus“ gar von einem Kritiker, der warnte vor „modischen kubischen Formen“ – dem Neuen Bauen ginge es mit seiner Betonung von Funktion und Material um weit mehr.
In der Folge zog die Kunsthistorikerin vom Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa einige dieser Grundlinien nach. So war die Internationalität eine zentrale Idee, die plakativ hervorgehoben wurde. Sie grenzte ab von einem nationalkonservativen Denken, das restaurative Architektur bevorzugte. Der Austausch, auch über Staatengrenzen hinweg, war den Architekten und Künstlern wichtig: In Holland De Stijl, der russische Konstruktivismus, Le Corbusier in Frankreich, im Westen bis heute weit weniger bekannt die polnische Gruppe Praesens – sie alle verschrieben sich der Avantgarde. Man traf sich auf internationalen Konferenzen, berühmt die Kurse für Neues Bauen von Ernst May in Frankfurt/Main und die CIAM-Kongresse. Zeitschriften spielten für den Wissenstransfer eine wichtige Rolle, ebenso Ausstellungen. So wurde die Werkbundausstellung WuWA in Breslau als Gegenveranstaltung zur Pewuka, der Allgemeinen Landesausstellung zur Feier der zehnjährigen Republik Polen, konzipiert.
In Osteuropa realisierten Architekten dieser Denkschule eine Vielzahl an Wohnbauten. Warschau, Kattowitz, Brünn, Prag, an der Ostsee, in Litauen – überall sollte die Idee der Fortschrittlichkeit, der Blick nach vorne auch das Selbstbewusstsein der neu entstandenen Staaten stärken, zur Identitätsbildung beitragen. Direkte Konkurrenzen zeigen solche politischen Dimensionen deutlich: Die Nachbarstädte Beuthen (Deutsches Reich) und Kattowitz (Republik Polen) wetteiferten zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise um die Modernität ihrer teuren, neuen Landesmuseen. Nach der deutschen Besetzung von Kattowitz wurde der avantgardistische Bau abgerissen.
Veranstaltungs-Info

Dem Kommunikationstalent von Walter Gropius ist es zu verdanken, dass die Architekturmoderne der 1920er- und 30er-Jahre oft unter dem Schlagwort „Bauhausstil“ subsumiert wird. Das 2019 aufwändig gefeierte 100-jährige Bauhaus-Jubiläum gibt Anlass, dieses Bild zu erweitern und auch andere Knotenpunkte der Moderne und deren Vernetzungen in den Fokus zu nehmen.
Der Vortrag nimmt das östliche Europa in den Blick, wo nach dem Ersten Weltkrieg in den neu konstituierten Staaten das Neue Bauen zum Symbol von Fortschrittlichkeit und wirtschaftlichem Erfolg wurde. Ungeachtet politischer Gegensätze zwischen den untergegangenen Imperien und den neuen Nationalstaaten blieben künstlerische Verbindungen über Grenzen hinweg bestehen, oder sie wurden, wie zwischen der Breslauer und Warschauer Architektenszene, neu geknüpft.
Vortrag von PD Dr. Beate Störtkuhl, Oldenburg
Der Eintritt ist frei.
Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.
Die Veranstaltungsräume sind nicht barrierefrei.
Ein Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Aufbruch und Krise - Das östliche Europa nach dem Ersten Weltkrieg":
Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden in Europa die Grenzen neu gezogen. Aus der Konkursmasse der ehemaligen Reiche Russland, Österreich-Ungarn, Deutsches Reich und Osmanisches Reich entstanden neue Staaten wie die Tschechoslowakei, Jugoslawien, die baltischen Staaten oder Polen. Zunächst schien sich die Demokratie als Staatsform in ganz Europa durchzusetzen. Erstmals erhielten Frauen das Wahlrecht. Staaten wie auch Minderheiten bildeten individuelle Identitäten aus. Massenkulturelle Vergnügungen in Rundfunk und Sport waren Ausdruck moderner gesellschaftlicher Entwicklungen. Alte Ordnungen kamen ins Wanken, Umbruch lag in der Luft. Die Veranstaltungsreihe stellt die vielen Facetten einer spannungsgeladenen Epoche vor.
Abbildung:
Johannes Theodor Baargeld: Typische Vertikalklitterung als Darstellung des Dada Baargeld, 1920, Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung.
Aufbruch und Krise – weg mit der Tradition, es lebe der Zweifel, die Banalität, die Unordnung und die Satire: Dada war während und nach dem Ersten Weltkrieg eine der künstlerischen Ausdrucksformen einer verwirrenden, unübersichtlichen Zeit.