Joseph Roth: Der Leviathan
Rudolf Guckelsberger las von der Verwandlung des „kontinentalen“ in den „ozeanischen“ Korallenhändler Nissen Piczenik, beschrieben von Joseph Roth in „Der Leviathan“.
Der „Held“ in Joseph Roths Erzählung „Leviathan“ ist still und verschroben, unzufrieden mit seinem Leben, aber hingebungsvoll ergeben seiner wertvollen Handelsware. Seine Korallen bedeuten ihm alles: Er sieht sie als Steine, Pflanzen, Tiere, Schmuck, die Zierde reicher und armer Frauen, das Glück der Männer, die sie schenken. Schritt für Schritt geht Nissen Piczenik seiner jüdischen Dorfgemeinschaft verloren. Niemand versteht seine enthusiastische Freundschaft mit dem prahlerischen Matrosen, der die Heimat der Korallen kennt und ihm alles davon erzählen soll („Kann man mit einem Fernrohr bis auf den Grund des Meeres sehen?“). Keiner kann nachvollziehen, warum er während der Hochsaison seines Ladens im Hafen Odessa Schiffe beobachtet statt zu verkaufen. Nachdem die Personifizierung des Mephistopheles ihn zum Betrug seiner Kunden mit falschen Zelluloid-Korallen verführt hat, verabschiedet er sich endgültig von der „kontinentalen“ Welt: Sein Dampfer nach Kanada sinkt und er springt, „lange noch bevor die Rettungsboote gefüllt waren“, hinein ins Reich der echten Korallen. Der Erzähler zum Ende: „Möge er dort in Frieden ruhn neben dem Leviathan bis zur Ankunft des Messias.“
„Der Leviathan“ ist ein Beispiel für Joseph Roths große Erzählkunst, lesbar als Parabel über Versuchungen, über jüdische Identität. Rudolf Guckelsbergers Lesung hatte im HdH BW einen musikalischen Rahmen. Julia Kunšek am Klavier und Qi Wang am Altsaxofon interpretierten Erwin Schulhoffs jazzige Hot Sonate, Guckelsberger: ein Zeichen der „Vielschichtigkeit der jüdischen Kultur“.
Veranstaltungs-Info
„In dem kleinen Städtchen Progrody lebte einst ein Korallenhändler, der wegen seiner Redlichkeit und wegen seiner guten, zuverlässigen Ware weit und breit in der Umgebung bekannt war.“
Wie ein Märchen beginnt Joseph Roths 1938 erschienene Erzählung „Der Leviathan“. Es nimmt jedoch kein gutes Ende: Der fromme Korallenhändler Nissen Piczenik wird all seine Rechtschaffenheit verlieren. Er wird sich dem Bösen ergeben, verkörpert durch einen betrügerischen Geschäftsmann, der alle Züge eines mephistophelischen Teufels trägt, er wird seinen guten Ruf verlieren, sich dem Alkohol ergeben, er wird seine Liebe zu den Korallen, auch seine jüdische Identität verraten, und schließlich im Reich „Leviathans“, dem biblischen Sinnbild der alles verschlingenden Macht des Meeres, untergehen.
Rudolf Guckelsberger stellt Joseph Roths meisterhaft inszenierte Parabel über die Abgründe menschlicher Existenz gekonnt und einfühlsam vor. Er wird musikalisch begleitet von der Pianistin Julia Kunšek und dem Saxofonisten Qi Wang.
Julia Kunšek stammt aus der Republik Baschkortostan/Russland und studierte am Konservatorium in Nizhny Nowgorod. Sie wurde mit mehreren Preisen bei internationalen Klavierwettbewerben ausgezeichnet und lebt seit 2002 in Stuttgart. Sie arbeitet als Solistin, Kammermusikerin und Korrepetitorin und hat einen Lehrauftrag an der HMDK Stuttgart.
Qi Wang stammt aus Heilongjiang/China und schloss 2015 sein Bachelor-Studium am China Conservatory of Music ab. Seit 2020 studiert er bei Prof. Nikola Lutz an der HMDK Stuttgart, wo er momentan den Studiengang Konzertexamen für die Ausbildung zum Solisten belegt.
Rudolf Guckelsberger hat Sprechkunst und Sprecherziehung studiert. Er arbeitet für den SWR, führt eigene Literaturprogramme auf und ist auch durch eine Vielzahl an Hörbuchaufnahmen bekannt.
Im Rahmen der Jüdischen Kulturwochen Stuttgart 2024
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei. Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.