„Ich sehe das Gift blühn"
Paul Celan in den Tod getrieben
In ihrem Vortrag teilte die Literaturwissenschaftlerin aus Tübingen die sogenannte „Goll-Affäre“ in mehrere Phasen. Sie begann unmittelbar nach dem Tod des Lyrikers Yvan Goll im Februar 1950 und zog sich bis in die 1960er-Jahre hinein. In ihrem Zentrum stand die Witwe Claire Goll. Immer wieder dann, wenn sie bei Neu-Veröffentlichungen Anmerkungen zur Verwandtschaft des Werks ihres Mannes mit dem Werk Paul Celans erwartete, bezichtigte sie diesen in einer Art „Vorwärtsverteidigung“ des Plagiats.
Was damit anfing, dass die von Yvan Goll erbetenen Übersetzungen seiner Werke durch Paul Celan bei der Publikation nicht als Fremdübertragungen gekennzeichnet wurden, (Wiedemann: „Diebstahl am geistigen Eigentum des Übersetzers“), führte über Claire Golls Fälschung der Entstehungsdaten von Gedichten und anonyme Briefe bis zur gezielten Falschinformation der Fachpresse. Als die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Paul Celan 1960 den Georg-Büchner-Preis zuerkennen wollte, ging sie ein weiteres Mal in die Offensive. Fritz Martini beauftragte seinen Studenten Reinhard Döhl mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung ihrer Vorwürfe. Die Anschuldigungen wurden entkräftet – aber Döhl hatte, so Wiedemann, nicht sauber die Quellen aufgearbeitet, sondern noch immer Falschbehauptungen wiederholt. Paul Celan sah sich als nicht rehabilitiert, die Affäre als noch immer nicht abgeschlossen. Wiedemann: „Er war empfindlich, aber nicht überempfindlich“, und: „Er wurde angegriffen und sah sich als Angegriffener nicht ernst genommen.“
Für die Literaturwissenschaftlerin muss die „Goll-Affäre“ vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte betrachtet werden. Im zweiten Kabinett von Konrad Adenauer saßen Altnazis, der ehemalige SS-Mann Hans Egon Holthusen schrieb maßgebliche Literaturkritiken. Judentum wurde versteckt statt thematisiert, Paul Celan nicht als jüdischer Schriftsteller sondern als „Rumäniendeutscher“, „Bukowiner“ oder gar als „Österreicher“ einsortiert. Seine Plagiate habe er aus Habgier, erbschleicherisch begangen – mit ihren Unterstellungen bediente Claire Goll zugleich jüdische Klischeevorstellungen. Sie selbst und ihr Mann waren ebenfalls Juden. Rein wirtschaftliche Interessen erklären ihr Handeln nicht. Barbara Wiedemanns Fazit ist erschütternd: Claire Goll beging Rufmord – und Mord.
Veranstaltungs-Info
Vortrag von Dr. Barbara Wiedemann
Paul Celan lernte Ende 1949 in Paris den schwer kranken Dichter Yvan Goll und seine Frau Claire kennen. Nach dessen Tod überzog die Witwe den jungen Celan mit Plagiatsvorwürfen und persönlichen Diffamierungen. Trotz Fürsprache durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zogen die nachweislich falschen Anschuldigungen mit ihren antisemitischen Nuancen immer weitere Kreise. Paul Celan fühlte sich als Dichter, als Mensch und als Jude von Vernichtung bedroht.
Dr. Barbara Wiedemann ist Literaturwissenschaftlerin mit Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen und Herausgeberin von Werken und Briefen Paul Celans.
Der Eintritt ist frei.
Saalöffnung um 17.30 Uhr
Die Veranstaltungsräume sind nicht barrierefrei.
Ausstellung und Bibliothek sind bis 17.45 Uhr geöffnet.
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