Rudolf Guckelsberger liest Siegfried Lenz: Heimatmuseum

Er ist ein einziger kolossaler Monolog und „das Masuren-Epos schlechthin“: „Heimatmuseum“ gilt laut Verlag als der „ambitionierteste Roman“ von Siegfried Lenz, er sei „kunstvoll komponiert“ und beziehe „politische Position“ vor dem Hintergrund von Willy Brandts Ostpolitik.
An drei Abenden las Rudolf Guckelsberger Auszüge dieses Mammutwerks im HdH BW. Dabei gelang es ihm, sowohl den roten Faden der Erzählung mit ihrem geschichtlichen Hintergrund im Auge zu behalten als auch Lenz‘ Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heimat“ zu vermitteln: Ist „Heimat“ die „geheiligte Enge“, „wo das Gemüt zu brüten beginnt“? Oder ist es ein „Winkel vielfältiger Geborgenheit“, wo man „wiedererkannt wird“? Kann dem Wort „seine Unbescholtenheit“ zurückgegeben werden?
„Endlich Abwechslung!“ So feiern die Jungs um Zygmunt Rogalla in Masuren den Beginn des Ersten Weltkriegs. Am ersten Leseabend folgte Rudolf Guckelsberger der Demontage dieser kindlichen Naivität. Der Kriegstod des Vaters und die Vertreibung aus dem eigenen Haus zwingen Zygmunt dazu, im benachbarten Heimatmuseum seines Onkels zu leben: In seinem Zimmer „alte masurische Brautgewänder“, „gegen Motten prägnierte Trachten“, über seinem Bett ein Bord voller „Kohlstampfer, Gewürzstampfer, Kuchenmodeln aus Obstbaumholz“.
Seine Berufswahl verbindet Zygmunt noch enger mit der masurischen Heimat, so startete der zweite Leseabend: Er geht bei der berühmtesten Teppichweberin der Region in die Lehre. Nun sind es Symbole und Bilder, Muster und Farben, die ihm von Masuren erzählen. Das Museum leitet er mittlerweile selbst. An seinem getreu alter Traditionen gefeierten Hochzeitstag anfang der 1930er-Jahre übertönen die Gesänge und Reden eines Nazi-Aufmarschs die kirchliche Zeremonie. Und die Mitglieder des Heimatvereins gehören inzwischen zur SS und erwarten von den Exponaten des Museums „Agitation“. Zygmunt entzieht sich, indem er die Ausstellung schließt.
Nach schrecklichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und auf der Flucht lässt Zygmunt sich in Norddeutschland nieder – die Exponate des Museums haben ihn begleitet. Dort erlebt er ein weiteres Mal, wie sein Versuch, die Heimat in einem Museum zu bewahren, von aktueller Politik funktionalisiert wird: Wieder soll die Sammlung bereinigt, das Gezeigte umsortiert, konkret: auf das Deutsche konzentriert werden. Diesmal bringt er die Exponate „in endgültige Sicherheit“: Er verbrennt das eigene Museum.
Nicht nur durch seine geschickte Auswahl der Textauszüge, auch mit seinen pointierten Worten zum Abschluss seiner Lesung vermittelte Rudolf Guckelsberger die zentrale Aussage von Siegfried Lenz: „Heimat“ kann nicht in Objekten festgehalten, an Orten konserviert werden. Eine Rückkehr in das Vergangene ist nicht möglich. „Heimat“ muss über Erzählung lebendig erhalten werden. Sein Roman „Heimatmuseum“ ist der Beleg dafür.
Veranstaltungs-Info

Die dramatische Geschichte eines masurischen Heimatmuseums wird zum Kristallisationspunkt der großen politischen Entwicklungen von der Jahrhundertwende bis in die Nachkriegszeit.
Siegfried Lenz‘ 1978 erstmals erschienener Roman ist vordergründig traditionell erzählt. Beim Lesen erweist er sich als ein faszinierendes Experiment mit Geschichte und Erinnerung, Mythos und Modernität.
Dazu entwirft Lenz ein farbenreiches Panorama Masurens als einer europäischen Grenzlandschaft. Teppichwirker Zygmunt Rogalla hat diese Heimat mit unbeirrbarer Hingabe in einem Museum verewigt. Nach Krieg, Flucht und Neubeginn im Westen zerstört er die eigene Arbeit. Schwerverletzt auf dem Krankenbett rechtfertigt er sich dafür und erzählt seine Lebensgeschichte. In ihr ist Jugendfreund Conny ein zentraler Gegenspieler. Und immer wieder wird »Heimat« politisch instrumentalisiert.
Rudolf Guckelsberger, Sprecher und Moderator beim SWR, führt eigene Literaturprogramme auf und ist durch eine Vielzahl von Hörbuchaufnahmen bekannt. Er liest an drei Abenden aus dem großen Masuren-Roman von Siegfried Lenz.
Der Eintritt ist frei.
Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl
Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei.
Foto: KI-generiert