Der Olymp der brotlosen Künste
Sehen und gesehen werden, sich in Szene setzen und den eigenen Wert auf dem Kunstmarkt steigern – Künstlerinnen und Künstler, besonders solche, die es erst noch werden wollten, nutzten im Berlin der 1920er-Jahre das Romanische Café als Bühne und Kontaktbörse.
Gabriele Tergit macht Berlin in ihrem Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm zum „Vorort des Nordostens“: „Nach Berlin kommt man von Osten“. Entsprechend viele Migrantinnen und Migranten strandeten auch im Romanischen Café. Dieser Ort wurde legendär, weil diejenigen, die dort saßen und tranken, auf ihre Chance warteten oder an der Karriere arbeiteten, ihn in eigenen Texten verewigten. Michael Speer las im HdH BW unterschiedlichste Bruchstücke dieser Arbeit am Denkmal. Géza von Cziffras scharfzüngige Anekdoten erinnern an den Säufer Joseph Roth, der weniger armselig ist, als er wirkt, an den Fridericus-Rex-Schauspiel-Superstar Otto Gebühr, der mit einer Meute Windhunde auf den Spott der Café-Besucher über seinen Erfolg als Majestätsdarsteller reagiert. Joseph Roth selbst wiederum schreibt in Richard ohne Königreich über einen ausgedienten Kaffeehaus-Kellner, der mit seiner Arbeit auch seine Identität, seine Heimat verloren hat. Franz Kafka lästert in einem Brief an Felice Bauer über Else Lasker-Schüler, die sei eine „Säuferin, die sich in der Nacht durch die Kaffeehäuser“ schleppe.
Michael Speers Lesung schlug viele unterschiedliche Töne an, bissig-böse und ironisch wird in den Texten geschimpft, sehnsuchtsvoll und resigniert die Atmosphäre des „Wartens-auf-die-große-Chance" beschrieben. Die Musik von Friedrich Hollaender und George Gershwin, am Klavier Simon Fallert und, augenzwinkernd und lasziv Mareike Riegert, Gesang, intensivierte die Ausmalung dieses „Wartesaals der Talente“ – eines „infernalischen Gewirrs von Charakterköpfen“ (Erich Kästner).
Veranstaltungs-Info
Das Romanische Café im Berlin der 1920er-Jahre war „der“ Treffpunkt der Intellektuellen, Malerinnen, Komponisten, Kabarettistinnen, Sänger, Schauspielerinnen und solcher, die es werden wollten. Unter ihnen Bert Brecht, Else Lasker-Schüler, Klabund, Erich Mühsam, Egon Erwin Kisch und viele andere, gerade auch Emigranten aus Ost- und Mitteleuropa. Sie kamen, um zu tratschen, um Verträge auszuhandeln, Kabarettnummern zu erfinden, Gedichte zu schreiben, eine neue Muse zu suchen oder eben nur, um in einer warmen Stube eine Tasse Kaffee zu trinken.
Diese Jahre im Romanischen Café waren so bewegend, dass viele Autorinnen und Autoren in ihren Büchern, Essays, Gedichten und Kolumnen wiederum darüber geschrieben haben. Hieraus liest Michael Speer Beispiele, die deutlich machen, welch lebendiger Haufen die Gästeschar war. Mareike Riegert und Simon Fallert singen und spielen Songs aus dieser Zeit – vor allem vom musikalischen Platzhirsch des Romanischen Cafés: Friedrich Hollaender.
Lesung und Musik mit Michael Speer (Sprecher), Mareike Riegert (Gesang) und Simon Fallert (Flügel).
Im Rahmenprogramm der Ausstellung Arabica und Muckefuck. Kaffeegeschichten zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Die Ausstellung bleibt am Veranstaltungstag bis 17:45 Uhr geöffnet.
Prof. Michael Speer wurde 2015 an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart berufen. Er unterrichtet dort Sprechkunst und inszeniert mit Studierenden zumeist themengebundene Sprechprogramme, z.B. DADA-Literatur oder Reiselyrik. Er war und ist noch - wenn die Zeit es zulässt - freiberuflicher Sprecher und Rezitator in eigenen Inszenierungen von Lyrik und Prosa. Darüber hinaus Schauspieler am Staatstheater Stuttgart, Sprecher für den Südwestrundfunk, ARD, ZDF & Arte. Auch war er Regisseur von freien Theaterproduktionen und Sprecherzieher an Schauspiel- und Figurentheaterschulen.
Mareike Riegert ist eine Jazz-/Pop-Sängerin, die im Schwarzwald aufwuchs und in Stuttgart nun an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart studiert. Sie liebt Jazz-Musik, ist begeisterte Bigband-Sängerin und in den verschiedensten Bandkonstellationen unterwegs.
Simon Fallert studiert seit 2018 Kirchenmusik und Schulmusik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart mit den Hauptfächern Orgel (KMD Tobias Horn) und Orgelimprovisation (Prof. Jürgen Essl). Er war 2019 Gewinner des internationalen Joseph-Gabler Orgelwettbewerbs in Ochsenhausen und des Justin-Heinrich-Knecht-Preises der Stadt Biberach. An der HMDK ist er Tutor für schulpraktisches Klavierspiel.
Anmeldung
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