Mendele Mojcher Sforim: Die Reisen Benjamins des Dritten
Was sind das doch für armselige Helden: Benjamin wäre ohne seine Ehefrau im bitterarmen Schtetl schon lange verhungert, Senderl denkt nie und folgt immer, jeweils demjenigen, der gerade auf ihn einredet. Gemeinsam gehen sie auf Weltreise – weil es „zu zweit doch gemütlicher“ ist.
Alles beginnt mit einer Dattel. Sie verirrt sich über merkwürdige Handelswege ins weltferne Schtetl und wird dort als Offenbarung bestaunt, löst beim Träumer Benjamin das Reisefieber aus. Vom Dorf der „heiteren Hungerleider und fröhlichen Schlucker“ direkt nach Eretz Israel – schnell verliert das Gespann den Weg, die Orientierung, der „Wandervogel“ Benjamin in der ersten vermeintlichen Großstadt dann auch gleich den Antrieb. Die Reise wird nur fortgesetzt, weil sie zur Flucht vor der zornigen Ehefrau Senderls wird.
Die Auszüge aus Mendele Mojcher Sforims Roman, die Rudolf Guckelsberger im HdH BW las, sind von derber Komik, sie bereiteten ihm selbst und dem Publikum einen Heidenspaß. Man lacht über diese traurigen Gestalten, über die irrwitzigen Situationen, in die sie tumb und naiv hinein-, aber auch wieder herausstolpern: Ihre Unfähigkeit rettet sie aus der Armee, ihnen damit das Leben. „Gottvertrauen ist eine jüdische Sache“. Frank Eisele mit seinem Akkordeon zeigte, zu welcher mitreißenden Lebensfreude sie führt. „Ob die beiden jemals nach Eretz Israel gekommen sind, müsst Ihr Euch selbst ausdenken“ – mit dieser Aufforderung entließ Guckelsberger die Zuhörerinnen und Zuhörer in den regnerischen Stuttgarter Abend.
Veranstaltungs-Info
Er gilt, neben Scholem Alejchem und Jizchak Lejb Perez, als einer der Begründer der jiddischen Literatur: Scholem Jankew Abramowitsch (1836–1917), der sich „Mendele Mojcher Sforim“ (Mendele, der Buchhändler) nannte und vor gut hundert Jahren in Odessa gestorben ist. In seinen Wanderjahren als Student lernte Abramowitsch, der auch einige Jahre in Niederschlesien lebte, die Lebenswelten jüdischer Gemeinschaften in Ost- und Mitteleuropa kennen. Seine Novelle "Die Reisen Benjamins des Dritten" ist eine herrliche Satire auf das Leben in den osteuropäischen ‚Schtetln’ und deren geistige Enge. Arm sind die Menschen dort, aber zugleich beseelt von einer unzerstörbaren Zuversicht und Gottgläubigkeit. So auch Benjamin, die Hauptfigur der Erzählung. Beeindruckt von den Helden der Abenteuerromane, die er liest, will dieser Träumer und Müßiggänger hinaus in die weite Welt. Begleitet von Senderl, einem tumben Taugenichts, bricht er auf ins Heilige Land... und fällt aus allen Wolken. Cervantes hätte seine helle Freude an dieser jiddischen „DonQuichotiade“.
Rudolf Guckelsberger liest Auszüge aus dem 1878 auf Jiddisch und 1937 erstmals auf Deutsch erschienenen Text. Begleitet wird er von dem Akkordeonisten Frank Eisele mit jiddischer Musik und virtuosen Improvisationen.
Der Eintritt ist frei. Der Veranstaltungssaal ist nicht barrierefrei. Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.
Im Rahmen der Jüdischen Kulturwochen Stuttgart 2022 und der Initiative 30 Tage im November - Vom Wert der Menschenrechte