Ein Schuster aus Tilsit und ein falscher Hauptmann in Köpenick

Der sowohl unterhaltsame als auch informative Abend im HdH BW beleuchtete die Straftat, die Carl Zuckmayer zu seinem Erfolgsstück inspirierte, aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln. Katja Schlenker, Kuratorin der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf, las aus den Memoiren von Wilhelm Voigt. Darin schildert der in Tilsit geborene Schuster seinen geraden Weg die schiefe Bahn hinunter als unglückliche Verstrickung von Missgeschicken und Missverständnissen. Sich selbst beschreibt er als naiv, zunächst dem gewalttätigen Vater, dann dem repressiven preußischen Staatsapparat ausgeliefert.
Winfrid Halder, Historiker und Direktor des Gerhart-Hauptmann-Hauses, stellte die aus heutiger Sicht rigide Rechtsprechung und den strengen Strafvollzug Preußens dar. Die Justiz verurteilte den 17-jährigen Wilhelm Voigt unter anderem wegen Urkundenfälschung zu vielen Jahren Zuchthaus. Wer eine kriminelle Karriere begonnen hatte, entkam der polizeilichen Überwachung nicht mehr – es sei denn, er konnte das Land verlassen.
Am 16. Oktober 1906 sah Wilhelm Voigt einen Ausweg: Er brauchte einen Pass, um aus Preußen auszureisen. Im Rathaus von Köpenick wollt er ihn besorgen. Seine Tat stellte er später selbst, geschickt, in die Tradition eines Michael Kohlhaas. Dass sie dank der Obrigkeitshörigkeit von Militär und Verwaltung zunächst glückte, löste sofort ein gewaltiges Echo in den Medien aus und wurde in der Politik heiß diskutiert. Die oppositionelle SPD nutzte sie zur Kritik am Regierungsapparat, die Auslandspresse reagierte mit Schadenfreude und Häme. Voigt selbst vermarktete sich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis (er wurde zehn Tage nach seiner Tat gefasst) als Rebell und Held, verkaufte Postkarten, ging in die USA auf „Tournee“. In der Zeit von Krieg und Inflation verarmte er und starb 1922 in Luxemburg. Sein Grab ist mittlerweile ein Ehrengrab, dem Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick dient er noch immer als touristische Hauptattraktion. Zuckmayers Stück wird weiterhin inszeniert, die filmische Darstellung von Heinz Rühmann bleibt unvergessen. Die Figur bedient weiterhin die Phantasie – ganz wie Michael Kohlhaas.
Veranstaltungsinformation

„Der Hauptmann von Köpenick“, von Carl Zuckmayer 1931 verfasst, in der Folge eines der erfolgreichsten deutschen Theaterstücke und mit Heinz Rühmann, Rudolf Platte oder Harald Juhnke in der Titelrolle mehrfach verfilmt, hat einen realen Hintergrund: Der Schuhmacher Wilhelm Voigt, 1849 in Tilsit geboren, hatte wegen Raubes, Urkundenfälschung und anderer Delikte bereits mehr als die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbracht, als ihm eine zündende Idee kam. 1906 bekleidete er sich mit Teilen einer Hauptmannsuniform. Ein Trupp von Berliner Wachsoldaten unterstellte sich sofort, einem angeblichen „allerhöchsten Befehl“ folgend, seinem Kommando. Handstreichartig nahmen sie gemeinsam im Städtchen Köpenick das Rathaus ein.
Prof. Dr. Winfrid Halder, Direktor der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf, und Dr. Katja Schlenker, Kuratorin der Stiftung, erinnern in ihrem Vortrag u.a. mit Zitaten aus damaligen Zeitungsartikeln, Gerichtsprotokollen und Augenzeugenberichten an diese Köpenickiade.
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungsraum ist nicht barrierefrei. Einlass bis zur höchstzulässigen Besucherzahl.