Mit Marcel Krueger unterwegs in Allenstein/Olsztyn

Grautöne der Geschichte
Fünf Monate verbrachte Marcel Krueger in Alleinstein/Olsztyn. Ein Stipendium als Stadtschreiber ermöglichte ihm den Aufenthalt. Im Gespräch mit Dr. Magdalena Gebala erzählte er, wie tief er dort in seine Familiengeschichte eintauchte.
Magdalena Gebala vom Deutschen Kulturforum östliches Europa sprach den in Irland lebenden Autoren auf die Perspektive an, mit der er Alleinstein zunächst begegnete: als Tourist, mit unvoreingenommener Sicht von außen. Schnell änderte sich dieser Blickwinkel, durch die Gespräche und Interviews, die Krueger während seiner ausgedehnten Stadtspaziergänge führte, auch vor dem Hintergrund seiner eigenen Familiengeschichte, auf deren Spuren er sich begab.

Marcel Krueger verband das Stadtschreiberstipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa mit der Arbeit an einem Buchprojekt. Darin greift er ein Kapitel seiner Familiengeschichte auf, von dem er als Kind, naiv und nie hinterfragend, nur vage gehört hatte: Seine Großmutter, Jahrgang 1923, wurde in Ostpreußen nach dem Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee gefangen genommen und verbrachte mehrere Jahre als Zwangsarbeiterin in sowjetischen Lagern. Ihr Halbbruder, Kruegers Großonkel, wurde wiederum während des Krieges von den Nationalsozialisten als polnischer Spion verhaftet und hingerichtet. Zwei Schicksale naher Verwandter, beide erschütternd, ganz unterschiedlich begründet – Magdalena Gebala und Marcel Krueger betonten, wie wichtig Einrichtungen wie das Stadtschreiberstipendium sind, um solche mehrdeutigen, komplizierten „Grautöne der Geschichte“ aufzuarbeiten.
Veranstaltungs-Info

„Spaziergänger sind ‚Praktizierende der Stadt‘, denn die Stadt ist zum Laufen gemacht.“ Ein Zitat (Rebecca Solnit, Wanderlust) dient Marcel Krueger als Einstieg in seinen Blog als Stadtschreiber. So entdeckte er die im Nordosten Polens gelegene Stadt Allenstein vor allem zu Fuß, „schummelte“ sich aber auch in Busse und Straßenbahnen. Er führte Interviews, besuchte Kulturinstitutionen und beschäftigte sich immer wieder mit dem Schicksal seines Großonkels Franz, der 1942 als polnischer Spion hingerichtet worden war.
Marcel Krueger lebt in Irland und arbeitet als Autor, Übersetzer und Redakteur. Er schreibt u.a. für The Guardian, die Süddeutsche Zeitung und CNN Travel. Sein jüngstes Buch „Island. Eine Insel und ihre Bücher“ ist im Mai im Reclam Verlag erschienen. Stadtschreiber-Stipendium 2019 des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam
Moderation: Dr. Magdalena Gebala, Potsdam
In der Reihe „Reisezeit"
Sommerzeit ist Reisezeit – das HdH BW lädt zu individuellen Städtetouren ein: Stadtschreiber stellen in Gespräch und Lesung, subjektiv und individuell, witzig oder tiefgründig Menschen und Orte, Geschichten und Gegebenheiten ihrer Gastgeber-Städte vor. Ihre Einblicke vermitteln mehr als die Ansichten touristischer Attraktionen.
Stadtschreiber-Stipendium
In manchen Städten Mittel- und Osteuropas tritt das multiethnische Erbe deutlich hervor oder liegt nur knapp unter der Oberfläche. Um das gegenseitige Verständnis und den interkulturellen Dialog zu fördern, vergibt das Deutsche Kulturforum östliches Europa (Potsdam) seit vielen Jahren das von der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien dotierte Stadtschreiber-Stipendium. Es wird an literarisch oder publizistisch tätige Kulturschaffende vergeben und führt sie an herausragende Orte im östlichen Europa, an denen Deutsche gelebt haben und heute noch leben. Die Stipendiaten verbringen jeweils fünf Monate in der Stadt und führen ein literarisches Internet-Tagebuch.
Eine Reihe in Kooperation mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa, Potsdam
Anmeldung / Erhebung von Kontaktdaten im Rahmen der Corona-Pandemie
Für den Besuch der Veranstaltung ist eine Anmeldung erforderlich. Sie kann telefonisch oder per Mail erfolgen (Tel. 0711 669510 oder per E-Mail an poststelle@hdh.bwl.de). Bitte geben Sie Vor- und Nachname, Anschrift und Telefonnummer (soweit vorhanden) aller von Ihnen angemeldeter Personen an. Die Datenerhebung dient der Nachverfolgung von Infektionsketten. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist von vier Wochen werden die Daten vernichtet.
Bitte beachten Sie die aktuellen Hygienemaßnahmen.
Der Eintritt ist kostenfrei.
Die Veranstaltungsräume sind nicht barrierefrei.
Foto: © Jarosław Skórski