20 Jahre EU-Osterweiterung
Die große Osterweiterung der EU um insgesamt acht Staaten fand 2004 statt. An das zwanzigjährige Jubiläum erinnert das HdH BW mit drei Podiumsgesprächen.
Die Diskussionsreihe ist das Ergebnis einer Kooperation mit dem Europa Zentrum Baden-Württemberg und Europe Direct Stuttgart. Die Auftaktveranstaltung, moderiert von Lana Mayer von Europe Direct Stuttgart, fand in der Württembergischen Landesbibliothek statt. Sie legte den Schwerpunkt auf die Jahre 1989 bis 2014 – die Erwartungen vor der Erweiterung, die Durchführung selbst und die unmittelbaren Folgen und Auswirkungen.
Katharina Bader, Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Hochschule der Medien in Stuttgart, analysiert seit den 1990er-Jahren die Transformation der osteuropäischen Gesellschaften. Auf ihren Reisen durch Polen nahm sie außer den Hoffnungen der Menschen auch Ängste und Sorgen vor der Öffnung zum EU-Markt wahr. Andreas Kalina, Dozent an der Akademie für politische Bildung Tutzing, wuchs in der Tschechoslowakei auf. Er beschrieb, anekdotisch, wie politische Umwälzungen auch „am eigenen Küchentisch“ erlebt wurden, wie er als Wissenschaftler aus der Distanz weiterhin die Entwicklung der mittelosteuropäischen Staaten betrachtet. Der Journalist und Autor Stephan Ozsváth hat familiäre Wurzeln in Ungarn und erfuhr so im persönlichen Umfeld, wie die Osterweiterung einer „Sehnsucht, nachhause zu kommen“ entgegenkam.
Von einer „Beitritts-Euphorie“ wollte das Podium allerdings nicht sprechen. Pragmatismus habe eine Rolle gespielt, in Tschechien etwa habe die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung schon vor dem EU-Beitritt begonnen. Auch habe der Eindruck geherrscht, es gäbe keine Alternative. Hoffnungen in Brüssel seien bei den Themen Korruptionsbekämpfung und Minderheitenschutz gesetzt und, zumindest teilweise und zunächst, auch erfüllt worden. Die späteren Entwicklungen, besonders in Ungarn die „180-Grad-Wendung“ Viktor Orbáns vom Liberalen hin zu identitären Standpunkten, bewerteten die Diskutierenden als extreme Ernüchterung. Strukturelle Probleme der Institution EU seien zu lösen, so Kalina, der trotz allem optimistisch bleiben möchte. Die nächste Gesprächsrunde wird den momentanen Ist-Zustand der EU näher betrachten: Es diskutieren Kai-Olaf Lang, Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Kultur und Christian-Zsolt Varga, freier Auslandskorrespondent mit Schwerpunkt Ukraine, Ungarn und Europas Osten.
Veranstaltungs-Info
1989 bis 2014 – Erwartungen, Euphorie, Ernüchterung
Der EU-Beitritt acht ostmitteleuropäischer und baltischer Staaten 2004 wurde in den alten und den neuen Mitgliedsländern als symbolische «Rückkehr nach Europa» gefeiert. Auch ohne Pathos konnte er als vorläufiger Kulminationspunkt der spätestens 1989 begonnenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozesse gelten.
Wie wirkten sich der Systemwechsel und die einschneidenden Reformen auf das Alltagsleben aus? Welche Erwartungen begleiteten den Weg der bis dahin sozialistischen Staaten nach Brüssel? Was bedeutete das Erreichen des Ziels für ihre Innen- und Außenpolitik, vor allem aber für das Leben der Bevölkerung? Und wie veränderten die neuen Mitglieder die Europäische Union?
Darüber diskutieren Prof. Dr. Katarina Bader (Politikwissenschaftlerin und Professorin für Online-Journalismus an der Hochschule der Medien Stuttgart), Stephan Ozsváth (Journalist und Autor, ARD-Hörfunkkorrespondent für Südosteuropa 2012–2017) und Dr. Andreas Kalina (Politikwissenschaftler, Dozent an der Akademie für politische Bildung Tutzing).
Moderation: Dr. Lana Mayer (Europe Direct Stuttgart)
Prof. Dr. Katarina Bader hat Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft und Geschichte Ostmittel- und Osteuropas studiert. Sie promovierte zu Wechselwirkungen zwischen Mediensystem und Parteiensystem im postkommunistischen Polen. Acht Jahre lang war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im interdisziplinären Elitestudiengang Osteuropastudien der Ludwig-Maximillians-Universität München und arbeitete paralell dazu als freie Journalistin für Zeit, Süddeutsche und SWR. Seit 2014 ist sie Professorin für Journalismus an der Hochschule der Medien in Stuttgart.
Dr. Andreas Kalina ist Politikwissenschaftler - und gebürtiger Tscheche. An der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See verantwortet er als Dozent die Bereiche "Europäischen Integration" und "Politischer und gesellschaftlicher Wandel". Er forscht, referiert und publiziert zu Themen der Integration in Europa, der Konsolidierung von (neuen) Demokratien, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie zur politischen Partizipation. Sein Buch Ein Kontinent - eine Nation? wurde mit dem Bayerischen Kulturpreis ausgezeichnet.
Stephan Ozsváth ist Journalist, Podcaster und Autor. Nach seiner Ausbildung in Berlin, Granada, Debrecen, Madrid war er u.a. ARD-Korrespondent Südosteuropa (2012 - 2017). 2017 erschien sein Buch Puszta-Populismus. Viktor Orbán - ein europäischer Störfall?, 2022 Tschuschenaquarium - Auf Tauchgang bei Wiener Typen. Er lebt und arbeitet in Wien und Berlin.
Der Eintritt ist frei.
Württembergische Landesbibliothek
Konrad-Adenauer-Straße 10
70173 Stuttgart
Im Begleitprogramm der Ausstellung „Erzähl' mir von Europa!“
Auftakt der dreiteiligen Veranstaltungsreihe „20 Jahre EU-Osterweiterung"
Am 1. Mai 2004 traten acht Staaten aus Ostmitteleuropa und dem Baltikum der Europäischen Union bei. Nun, 20 Jahre später, blicken das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg, das Europa Zentrum Baden-Württemberg und Europe Direct Stuttgart auf die Vorgeschichte zurück, schauen auf die tiefgreifenden Folgen der Erweiterung, beleuchten Entwicklungspfade sowie Konfliktlinien und loten die Perspektiven für weitere Beitrittskandidaten aus.
Drei Podiumsgespräche widmen sich jeweils einer Zeitspanne:
Teil 1: 1989 bis 2014 – Erwartungen, Euphorie und Ernüchterung
28. Februar 2024 18:00 Uhr, Württembergische Landesbibliothek
Teil 2: 2014 bis 2024 – Zweckbündnis oder Wertegemeinschaft?
22. April 2024 18:00 Uhr, Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg
Teil 3: 2024ff. – Eine neue Osterweiterung?
24. Juni 2024 18:00 Uhr, Europa Zentrum Baden-Württemberg
Foto: Will Bakker; https://flickr.com/photos/willbakker/3810250235; bearbeitet; Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/