„Wanderjahre ohne Lehre"
Er war ein „begnadeter Erzähler“, der gerade in seinen Anfangsjahren als Schriftsteller das Medium Rundfunk höchst professionell bediente – Dr. Hans-Ulrich Wagner informierte im HdH BW über die Radioarbeiten von Siegfried Lenz.
In seinem Vortrag stützte sich Dr. Wagner, Mitarbeiter am Hamburger Hans-Bredow-Institut, auf seine intensiven Forschungsarbeiten zur Erstellung der „Großen Hamburger Werkausgabe“ über Siegfried Lenz. Drei Bände à circa 1.000 Seiten wird die Werksausgabe über die etwa 200 „Rundfunkarbeiten“ von Lenz‘ umfassen. Klug nutzte Lenz darin die Stärken des Mediums, perfektionierte eine Form des „dialogischen Erzählens“ und Argumentierens, um unterhaltsam Wissen zu vermitteln, so Wagners Analyse. Dabei habe er immer die Anforderungen der Redaktionen mitbedacht, ganz der „Medienprofi“, journalistisch geschult und höchst diszipliniert. Effizient griff er dabei auf einen Fundus an Personen und Motiven zurück, die er dann auch in seinen Romanen und Erzählungen einsetzte.
Mit Tonbeispielen stellte Wagner frühe Radiowerke Siegfried Lenz‘ vor, in denen er sich mit Flucht, Vertreibung und seiner Heimat Masuren beschäftigte. In diesen stellte der Forscher „Brechungen und Irritationen“ fest: Wenn etwa ein dialektgefärbter Dialog aus einer politischen Reflexion in eine kulturgeschichtliche Beschreibung übergeht. Das sei im neuen Medium Radio keine radikal neue Form – aber für Wagner eine Möglichkeit, hinter die Fassade des „Meisters des Entwerfens von Selbstbildern“ zu schauen, den „freundlichen Autoren“ Lenz, bekannt für seinen ruhig-getragenen, melodischen „Lenz-Sound“, differenzierter zu sehen.
Veranstaltungs-Info
Siegfried Lenz und seine Vertriebenen- und Ostpreußen-Sendungen im Radio der 1950er-Jahre
Siegfried Lenz, 1926 in Masuren/Ostpreußen geboren, zählt „zu den bestimmenden und herausragenden Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur" (Hanjo Kesting). Er setzte seiner Heimat literarische Denkmäler wie den humoristischen Erzählzyklus „So zärtlich war Suleyken" und den Erinnerungsroman „Heimatmuseum". Seine literarischen Anfänge waren aufs Engste verbunden mit den Kultur- und Nachtprogrammen der westdeutschen Radiosender in den 1950er- und 1960er-Jahren. Hier erprobte Lenz neue Ausdrucksformen (Hörspiele, Hörfolgen, Features). Als Intellektueller widmete er sich dem Verlust seiner Heimat und den gesellschaftlichen Fragen der Nachkriegszeit. Er starb 2014 in Hamburg.
Hans-Ulrich Wagner stellt Lenz‘ Radio-Werke vor, darunter „Wanderjahre ohne Lehre“ (1952), ein politisches Hörbild über die „Phasen der Leidensstationen des litauischen Volkes“, sowie „Ich suche meinen Namen“ (1954), die Geschichte des Flüchtlingskindes Olaf Martius. Wagner beleuchtet diese frühen Vertriebenen- und Ostpreußensendungen von Siegfried Lenz im Kontext dessen biographischer und literarischer Entwicklung.
Dr. phil. Hans-Ulrich Wagner arbeitet am Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg. Er beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Literatur und Radio und stellt Medienarbeit als Teil des literarischen Schaffens vor. Er ist Herausgeber von drei Bänden „Rundfunkarbeiten“, die im Herbst 2024 im Rahmen der „Großen Hamburger Werkausgabe“ von Siegfried Lenz im Verlag Hoffmann und Campe erscheinen werden.
Der Eintritt ist frei.
Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.
Auftakt der Veranstaltungsreihe „Auf Empfang! 100 Jahre Rundfunk“
Mit einem Gongschlag und der Ansage «Achtung! Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Vox Haus. Auf Welle 400 Meter» begann am 29. Oktober 1923 um 20 Uhr der regelmäßige Rundfunkbetrieb in Deutschland. Die erste Sendung brachte Kompositionen u. a. von Mozart, Beethoven und Mendelssohn zu Gehör – teils von Schellack-Platten eingespielt, teils live von Musikern aufgeführt.
Anfangs hatten nur wenige hundert Deutsche einen Radio-Empfänger und die behördliche Lizenz zum Zuhören. Trotzdem gingen weitere Rundfunksender, u. a. in Stuttgart, auf Sendung. Im Mai 1924 kam die Schlesische Funkstunde in Breslau hinzu, im Juni 1924 der Sender Königsberg des Ostmarken-Rundfunks. Das junge Medium wuchs rasant, brachte Stars und neue Formate wie das Hörspiel und Live-Reportagen hervor. Die Nationalsozialisten nutzten den Rundfunk ganz für ihre Propaganda, das Radio wurde endgültig zum Massenmedium. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand unter Aufsicht der Alliierten eine neue Rundfunkstruktur mit Kultur- und Bildungsauftrag.
Das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg beleuchtet in seiner Veranstaltungsreihe besondere Aspekte der deutschen Rundfunkgeschichte.
Die nächsten Veranstaltungen:
„Leben in dieser Zeit“
Lieder und Chansons von Edmund Nick nach Texten von Erich Kästner u. a.
14. Mai 2024, 18:00 Uhr, HdH BW Großer Saal EG