Die Krise der Demokratie

Instabil, disparat, technokratiegläubig – zum Scheitern verurteilt?
Nach dem Ersten Weltkrieg war Europa demokratisch. Im Laufe der folgenden beiden Jahrzehnte scheiterte ein demokratischer Staat nach dem anderen. Warum?
Der Historiker Boris Barth möchte mit seinem Werk Europa nach dem großen Krieg – Die Krise der Demokratie in der Zwischenkriegszeit eine Forschungslücke schließen: Es gäbe zahlreiche, auch vergleichende, Betrachtungen der Diktaturen und totalitären Staaten, die im Zwanzigsten Jahrhundert in Ostmitteleuropa entstehen. Es gäbe keine Analyse, wie es dazu kommen konnte. Woran scheiterte die Demokratie als Staatsform?
In seinem Vortrag fasste Barth die Thesen seines Buches kompakt zusammen. Acht Entwicklungen zählte er auf, die sich quer durch Europa beobachten lassen, deren Zusammenwirken für eine grundlegende Instabilität sorgte. Es gibt nicht den einen, singulären Grund, sondern ein „Zusammenspiel vieler Faktoren“.
Nur kurz riss Barth die acht Themenfelder an, als Beispiele: Die neue Pariser Weltordnung mit dem Versailler Vertrag als Bestandteil habe die inkompatiblen Ziele der einzelnen Staaten nicht abgebildet und so nicht etwa den Weltfrieden, sondern instabile außenpolitische Verhältnisse begründet. Die Politik wurde ethnisiert – wo vorher Nationalität keine Rolle spielte, wurde sie nun zum politischen Argument. Kaum einem der europäischen Staaten gelang es, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eine demokratische Erinnerungskultur aufzubauen. Der Liberalismus erlebte seinen Niedergang, in Deutschland etwa verschwand die DDP von der Parteienlandkarte. Zur damals verbreiteten „technokratischen Vision“ gehörte die Idee, Gesellschaften seien durch entsprechende Instrumente kollektiv zu steuern – die Eugenik stand hoch im Kurs, Planwirtschaften wurden realisiert.
Alle Entwicklungen konnten an dem Abend nur kurz beschrieben werden. In der Diskussion mit dem Publikum lag die Frage nach der Vergleichbarkeit mit der politischen Situation 2019 nahe. Boris Barth als Historiker verweigerte vorschnelle Vereinfachungen – stellte aber Parallelen wie die „Erosion der politischen Mitte“ und „Tendenzen, denen man aktiv entgegen wirken kann“, fest.
Veranstaltungs-Info

Die jungen Demokratien Osteuropas gerieten bereits wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg in die Defensive: Die Idee, das Wohl der Nation über demokratische Freiheitsrechte von Einzelnen zu stellen, führte zu autoritären bzw. totalitären Regimen. Ihr Ziel war die Bildung ethnisch reiner Nationalstaaten.
Die Darstellung des Vortrags folgt nicht den Nationalgeschichten einzelner Länder, sondern ist problemorientiert angelegt und umfasst alle wichtigen Themenfelder der Zwischenkriegszeit - vom Versailler Vertrag über den Revisionismus und die Gewalterfahrungen des Ersten Weltkriegs bis hin zur Weltwirtschaftskrise.
Vortrag von Prof. Dr. Boris Barth, Karls-Universität Prag
Der Eintritt ist frei.
Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.
Die Veranstaltungsräume sind nicht barrierefrei.
Ein Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Aufbruch und Krise - Das östliche Europa nach dem Ersten Weltkrieg":
Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden in Europa die Grenzen neu gezogen. Aus der Konkursmasse der unterlegenen Reiche Russland, Österreich-Ungarn, Deutsches Reich und Osmanisches Reich entstanden neue Staaten wie die Tschechoslowakei, Jugoslawien, die baltischen Staaten oder Polen. Zunächst schien sich die Demokratie als Staatsform in ganz Europa durchzusetzen. Erstmals erhielten Frauen das Wahlrecht. Staaten wie auch Minderheiten bildeten individuelle Identitäten aus. Massenkulturelle Vergnügungen in Rundfunk und Sport waren Ausdruck moderner gesellschaftlicher Entwicklungen. Alte Ordnungen kamen ins Wanken, Umbruch lag in der Luft. Die Veranstaltungsreihe stellt die vielen Facetten einer spannungsgeladenen Epoche vor.
Abbildung:
Johannes Theodor Baargeld: Typische Vertikalklitterung als Darstellung des Dada Baargeld, 1920, Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung.
Aufbruch und Krise – weg mit der Tradition, es lebe der Zweifel, die Banalität, die Unordnung und die Satire: Dada war während und nach dem Ersten Weltkrieg eine der künstlerischen Ausdrucksformen einer verwirrenden, unübersichtlichen Zeit.