Czernowitz Cernăuţi Czerniowce

Czernowitz und die Bukowina –
eine Multikulti-Idylle?
Die Geschichte der Region Bukowina und der Metropole Czernowitz als wechselvoll zu bezeichnen, ist eine Untertreibung. Sie kann exemplarisch stehen für ein multikulturelles Neben- oder Miteinander in Europa.
Im HdH BW fasste Maren Röger, Junior-Professorin an der Universität Augsburg und Leiterin des dortigen Bukowina-Instituts, diese Geschichte in einem 60-minütigen Schnelldurchgang anschaulich und prägnant zusammen.
Nach einer ersten Blütephase im späten 15. Jahrhundert, in der die berühmten Moldau-Kloster entstanden, prägte die Zeit der Zugehörigkeit zum Herrschaftsgebiet der Habsburger (1775 – 1918) die Region und die Metropole. Es war von strategischem Interesse für die Habsburger, dieses kleine, dünnbesiedelte Gebiet zwischen Galizien und Siebenbürgen zu kontrollieren, und dort gezielt Handwerker und Landarbeiter anzusiedeln. Wer unter dieser Herrschaft sozial aufsteigen wollte, in der Verwaltung, dem Schul- und Universitätssystem, musste deutschsprachig sein, das spiegeln Statistiken zur Zusammensetzung der Einwohnerschaft, die Maren Röger analysierte, wider. 1910 waren rund 35 % der Bevölkerung ruthenisch (grob vergleichbar mit dem heutigen ukrainisch), 34 % rumänisch und 21 % deutsch (davon 60% jüdisch). Heute ist die Region „ethnisch bereinigt“, die verschiedenen Kulturen umgesiedelt, deportiert, getrennt.
Die Konflikte zwischen den Ethnien in Czernowitz nahmen ab dem 19. Jahrhundert zu, Röger wies auf den wachsenden Antisemitismus hin, der etwa über Zeitungsberichte belegt werden kann. Eine Selbstverortung über die eigene Ethnie wuchs, in Czernowitz entstanden die Nationalhäuser der Polen, Ukrainer, Deutschen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Bukowina Rumänien zugeschlagen; 1940 begann die Umsiedlung der dort lebenden Deutschen und die Deportation der Juden nach Transnistrien; 1944 wurde die Region geteilt und der Norden der Sowjetunion zugeordnet – heute verläuft hier eine EU-Außengrenze mit allen Konsequenzen die Wirtschaft, die Migrationsbewegungen betreffend.
Czernowitz und die Bukowina waren nie eine Multikulti-Idylle, so Röger, aber lange Zeit funktionierte das Mit- oder Nebeneinander der Kulturen dort besser als in anderen Regionen, war „der Streit nicht virulent“. Heute ist Czernowitz eine weltoffene, touristisch hochinteressante Stadt mit intakter historischer Altstadt und bunter Kulturszene. Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland zeigt aber Spuren: Während ihrer letzten Reise hat Maren Röger an einzelnen Kaffees Hinweis-Schilder gefunden, die Russen als dort unerwünscht benennen. Die Konflikte brechen nicht unbedingt aus, aber sie schwelen.
Veranstaltungs-Info

So viele Namen für eine Stadt. Die Bevölkerung der Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina entstand durch Einwanderung während des 19. Jahrhunderts. Nach Ukrainern und Rumänen siedelten sich vor allem Juden, Deutsche bzw. Österreicher, aber auch Polen, Slowaken und Armenier an. Im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft diente bis 1918 die deutsche Sprache als Verkehrssprache. Was änderte sich nach Ende des Ersten Weltkrieges, als die Bukowina rumänisch wurde? Wie stellt sich die Situation heute dar, im dritten Jahrzehnt der Zugehörigkeit zur unabhängigen Ukraine?
Vortrag von Jun. Prof. Dr. Maren Röger, Bukowina-Institut an der Universität Augsburg
Der Eintritt ist frei.
Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl.
Die Veranstaltungsräume sind nicht barrierefrei.
Veranstaltung im Rahmen der Reihe Identitäten und Kulturen in osteuropäischen Metropolen
Am Anfang des 20. Jahrhunderts stellte sich der europäische Sprachraum als bunter Flickenteppich dar. Insbesondere die Metropolen mit ihren Einwohnern aus unterschiedlichsten ethnischen Gruppen hatten einen multikulturellen Charakter. Wie entstand aus der Vielfalt des Austausches, des Neben- und Miteinanders Identität? Wo und wie wurde Gemeinsames gefunden, wie ging man mit Diversität um? Welche Auswirkungen hatten die Katastrophen des letzten Jahrhunderts auf diese Prozesse? Und: Wie ist die Situation heute, angesichts zunehmend nationalistisch agierender Regierungen?
©Fotos: Die Olga–Kobyljanska–Straße, die frühere Herrengasse in Czernowitz (wikipedia, Edvard_Tur / CC BY-SA 3.0). Panorama von Czernowitz (wikipedia, Edvard_Tur / CC BY-SA 3.0)