Blickwechsel - Osteuropa: Radek Knapp

Stanisław Lem, Richard Gere und ein hässlicher Schreibtisch
Irene Ferchl stieg in das Gespräch mit dem aus Polen stammenden Autor ein, indem sie ihn zur Lesung aus seinem letzten Werk, Der Mann, der Luft zum Frühstück aß, aufforderte. Radek Knapp las die ersten Seiten: Die Mutter des kleinen polnischen Walerian verabschiedet sich über’s Wochenende, lässt ihn zurück bei den Großeltern, und kommt nach elf Jahren wieder. Kurze Zeit später packt sie ihn in ihr Auto, fährt mit ihm nach Österreich – und sie bleiben dort. Das erlebt die Hauptfigur und das erlebte Radek Knapp. Im HdH BW berichtete der Schriftsteller, dass die gesamte Erzählung uneingeschränkt autobiografisch sei.
Die Kritik und Leserschaft seiner Bücher schätzt den einzigartigen Ton, den Knapp beherrscht: Schelmisch, humorvoll und geistreich, anspruchsvoll und zugleich unterhaltsam. So stellte er sich auch im Gespräch mit Irene Ferchl vor, wie im Match flogen die Bälle im schnellen Themenwechsel zwischen den beiden, Fragen wurden mit Anekdoten beantwortet. So erzählte Knapp, dass er an einem hässlichen Schreibtisch aus dem Besitz des verstorbenen, hochverehrten Stanisław Lem arbeite, und dass dieser Richard Gere keine Zusage für die Verfilmung von Solaris gab, schlichtweg weil er ihn nicht kannte. Er beschrieb sein eigenes Verhältnis zum Deutschen als seiner gewählten Schriftsprache, den Charakter des Polnischen („Polnisch ist wie ein Bild von Marc Chagall“) oder seine Gespräche mit Schülerinnen und Schülern, die er oft mühsam, aber meistens erfolgreich, aus ihrem digitalen Kosmos zurück in die analoge Welt befördere. Als jemand, der Grenzen, auch Sprachgrenzen, überschritten habe, zum Begriff „Heimat“ befragt, sagte er: „Der Garten meines Großvaters befand sich zufällig in Polen.“
Auch zur aktuellen politischen Lage in Polen bezog Radek Knapp Stellung. Er kündigte an, dass ihn die momentane Entwicklung in vielen europäischen Staaten derart beschäftige, dass er sie in seinem nächsten Werk thematisieren wolle. Genaueres wollte er zu seinen Plänen noch nicht verraten.
Veranstaltungs-Info

Radek Knapp im Gespräch mit Irene Ferchl
Man könne in sich selbst beheimatet sein und einem liebe Mitmenschen als Pendant zu Häusern, Seen und Wäldern der alten Heimat betrachten, meinte Radek Knapp in einem Interview. Aus eigener Erfahrung kennt er den Verlust der Heimat, das Ankommen in einem fremden Land, und davon erzählt er immer wieder: zuerst in seinem Roman Herrn Kukas Empfehlungen, für den Knapp 2001 mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet wurde, und zuletzt in der Novelle Der Mann, der Luft zum Frühstück aß (2017). Darin geht es um die unfreiwillige Emigration eines zwölfjährigen Jungen, wie der Autor selbst sie ähnlich erlebt hat.
1964 in Warschau geboren, kam Radek Knapp 1976 zu seiner Mutter nach Wien. Dort besuchte er die Schule, studierte Philosophie und bekam den Aspekte-Preis für sein Debüt Franio, das bereits diesen unverwechselbar leichtfüßigen, schelmischen, selbstironischen Ton besitzt. Kenntnisreich und humorvoll ist auch die Gebrauchsanweisung für Polen, die Radek Knapp neben seiner neuesten Erzählung vorstellen wird.

Blickwechsel - Osteuropa
Sie stammen aus dem östlichen Europa und leben heute im deutschen Sprachraum. Sie schreiben und publizieren in Deutsch und werfen in ihren Texten einen Blick zurück/hinüber in das Land ihrer Herkunft. Dieser Blickwechsel ist Entdeckung, ermöglicht eine neue, eigene Sicht. Er steht für den lebendigen Dialog der Kulturen. Im Schreiben verschmelzen Aspekte der deutschen und der osteuropäischen Geschichte.
Dimitré Dinev, Radek Knapp und Marica Bodrožić sprechen in den drei Veranstaltungen der Reihe über ihre schriftstellerische Arbeit zwischen den Kulturen, berichten von Grenzüberschreitungen und lesen aus ihren Werken.
Irene Ferchl hat Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft studiert. Seit 1993 leitet sie als Herausgeberin und Chefredakteurin das von ihr gegründete Literaturblatt für Baden-Württemberg. Ihr Tätigkeitsfeld ist die Vermittlung von Literatur, sie arbeitet als Autorin, Moderatorin, Redakteurin und Projektleiterin.
Der Eintritt ist frei.
Einlass bis zum Erreichen der höchstzulässigen Besucherzahl. Die Veranstaltungsräume sind nicht barrierefrei.
© Foto Radek Knapp: www.corn.at/Deuticke Verlag
© Foto Irene Ferchl: Burkhard Riegels