Wolfskinder – Verlassen zwischen Ostpreußen und Litauen
Als die Rote Armee im Frühjahr 1945 Ostpreußen einnahm, hatte infolge der nationalsozialistischen „Evakuierung“ ein Großteil der deutschen Bevölkerung die Provinz verlassen. Die humanitäre Lage der im nunmehr sowjetischen Norden Ostpreußens verbliebenen oder dorthin zurückgekehrten Deutschen spitzte sich nach Kriegsende zu, insbesondere im „Hungerwinter“ 1946/47. Viele Kinder mussten mit ansehen, wie ihre Geschwister verhungerten, die Großeltern an Schwäche starben oder die Mutter einer Epidemie erlag. Manche kamen in sowjetische Waisenhäuser.
Andere Kinder versuchten, auf sich allein gestellt, in der freien Natur des Baltikums gegen Hunger, Kälte und Willkür der sowjetischen Behörden zu bestehen. Einige machten sich auf den Weg nach Litauen und fanden Unterschlupf bei Bauern, die sie heimlich aufnahmen und notdürftig versorgten. Im Gegenzug arbeiteten die Kinder auf den Höfen. Eine Schulbildung blieb den meisten verwehrt. Ein Großteil kann bis heute weder lesen noch schreiben. In der Regel erhielten die Kinder eine neue Identität und litauische Namen, um ihre Herkunft zu verschleiern. So lebten sie Jahrzehnte in Litauen, ohne dass ihr Schicksal einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde. Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 veränderte sich auch das Leben der Wolfskinder, wie sie heute im deutschen Sprachraum genannt werden.
Die Wanderausstellung „Wolfskinder – Verlassen zwischen Ostpreußen und Litauen“ dokumentiert in nie zuvor gezeigten Bildern und Textzeugnissen den Weg der Wolfskinder bis heute. Die Ausstellung basiert auf einem Oral-History-Projekt der Fotografin Claudia Heinermann und der Journalistin Sonya Winterberg. Für diese eindrucksvolle Dokumentation reisten sie über mehrere Jahre nach Litauen, um dort lebende Wolfskinder zu besuchen. Mit ihnen sprachen sie über die Erlebnisse der Kindheit, die Flucht und das Leben hinter dem „Eisernen Vorhang“ – ohne Wurzeln und voller Sehnsucht nach Familie und Verwandten. Ihre bewegenden Schicksale werden so dem Vergessen entrissen und öffnen sich zu einem vielschichtigen Panorama der Zeitgeschichte.
Eine Ausstellung von Claudia Heinermann und Sonya Winterberg in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa, Potsdam, und dem Ostpreußischen Landesmuseum, Lüneburg
Sonya Winterberg (Kanada) ist Journalistin und Autorin. Sie kuratiert Ausstellungen zu zeitgeschichtlichen Themen und schrieb mehrere Bücher über Kindheit in und nach Kriegen, unter anderem "Wir sind die Wolfskinder. Verlassen in Ostpreußen" (Piper, München 2012).
Claudia Heinermann (Niederlande) ist Fotografin. Ihr Arbeitsschwerpunkt sind Langzeitdokumentationen zu zeitgeschichtlichen Themen wie dem Bosnienkrieg und dem Völkermord in Ruanda. Ein Projekt über die Überlebenden sowjetischer Deportationen führte sie im Anschluss an die „Wolfskinder“ nach Sibirien und erneut in die baltischen Staaten.
Ausstellungsdauer: 07.05.2021 bis 23.09.2021
Ausstellungsort: Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg, 4. OG Ausstellungsraum
Öffnungszeiten:
Mo, Di, Do 9:00 bis 15:30 Uhr
Mi 9:00 bis 18:00 Uhr
Der Eintritt ist frei.
Der Ausstellungsraum im 4. OG ist nicht barrierefrei erreichbar.
Bitte beachten Sie das Hygienekonzept.
Fotos: Copyright Claudia Heinermann
Rahmenprogramm
Eröffnung der Ausstellung: Auf den Spuren der „Wolfskinder"
Gespräch mit den Kuratorinnen Sonya Winterberg und Claudia Heinermann
Begrüßung: Dr. Christine Absmeier, Leiterin des HdH BW
Donnerstag, 6. Mai 2021, 18:00 Uhr, nur online hier (bitte anklicken).
Die Folgen des Zweiten Weltkriegs für das nördliche Ostpreußen und Litauen
Vortrag von Prof. Dr. Joachim Tauber, Lüneburg/Hamburg
Dienstag, 29. Juni 2021, 18:30 Uhr, Live-Vortrag und Diskussion nur online über Webex.
„Nur der Himmel blieb derselbe... Ostpreußens Hungerkinder erzählen vom Überleben"
Vortrag von Dr. Christopher Spatz, Bremen
Donnerstag, 15. Juli 2021, 18:00 Uhr, Großer Saal EG
„Wolfskinder - Glücksmomente"
Buchvorstellung von Prof. Dr. Wolfgang von Stetten
Mittwoch, 15. September 2021, 18:00 Uhr, Großer Saal EG
„Mein Name ist Marytė"
Lesung aus dem Roman von Alvydas Šlepikas. Mit Aurelia Orel und Dominik Eisele. Musik: Duo Bluesette
Dienstag, 21. September 2021, 18:00 Uhr, Großer Saal EG